Zum Tag der Muttersprache : Größerer Versuch über schmutzige Wörter
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Ein Abendessen mit Freundinnen inspirierte sie zu ihrem Roman: Maddalena Fingerle. Bild: Julia Mayer
Die Italienerin Maddalena Fingerle hat mit „Muttersprache“ einen aufregenden Debütroman geschrieben. Der rechnet nicht nur mit dem Konstrukt der Südtiroler Zweisprachigkeit ab.
„Seit ich auf der Welt bin, heult meine Mutter. Sie heult, weil mein erstes Wort Wort war. Sie heult, weil ich Wort sage und nicht Mama.“ Mit diesem Aufschlag des Icherzählers setzt „Muttersprache“ ein, der erste literarische Auftritt der neunundzwanzigjährigen Maddalena Fingerle. Eine Italienerin mit einer schwierigen, weil autonomen und überwiegend deutsch geprägten Vaterstadt, Bozen.
Die Südtiroler Kapitale, städtebaulich geteilt in Alt- und faschistische Neustadt plus ausuferndem Gewerbebrei, ist offiziell sogar dreisprachig – Deutsch, Italienisch, Ladinisch. Aber wer ist hier schon wirklich zweisprachig? Noch nicht einmal mit der Aussprache klappt es: Die Südtiroler Dialektsprecher sagen „tue folte“, wenn sie „due volte“ (zwei Mal) sagen wollen, heißt es im Roman. Es sind die Ungereimtheiten dieses politischen Konstrukts, die Fingerles Buch grundieren. Bozen, sagt sie, hätte man erfinden müssen, wenn es nicht schon existiert hätte. Und ihr Buch hätte nirgendwo sonst spielen können. Obwohl sie schon lange nicht mehr dort lebt. Aber der Reihe nach.
Der deutsche Nachname geht auf einen Münchner Urgroßvater zurück. Maddalena Fingerle, Jahrgang 1993, ist die einzige Tochter zweier gebildeter Eltern. Die Mutter unterrichtet Philosophie und Geschichte an einer Bozner Oberschule, der Vater war Jurist. Die römische Großmutter achtet darauf, dass die Enkelin gepflegtes Italienisch spricht, nicht die Bozner Variante mit den falschen Betonungen und seltsamen Vokalen. Zu Hause stehen viele Bücher, aber kein Fernseher. „Meine Mutter hat den ganzen Tag Radio gehört, Rai 3. Wozu ein Fernseher, dachte ich mir“, erzählt die Autorin beim F.A.Z.-Gespräch in München. Die Endzwanzigerin mit den langen dunklen Haaren ist ganz in Schwarz gekleidet, den Espresso nimmt sie dito. Man meint, ihre Gedankenblitze sehen zu können, so lebhaft und zugewandt ist sie und gelegentlich von heiligem Unernst.
Was soll an Bildung schlecht sein?
Zum Lesen habe man sie nicht ermuntern müssen. „Meine Eltern haben versucht zu verhindern, dass ich bestimmte Bücher in die Hände bekomme. Ich habe mit zehn Jahren den ,Gattopardo‘ gelesen, das war natürlich viel zu früh“, räumt sie heute ein. Nach dem Abitur geht sie nach Deutschland, landet in Augsburg, wo sie drei Viertel dessen, was die bayerisch-schwäbische Gastfamilie spricht, nicht versteht. Das Hochdeutsch, das sie in Bozen gelernt hat, erweist sich als unbrauchbar. Deutsch habe sie mit Thomas Mann geübt und schmerzlich erfahren, dass die Deutschen bei ihren Sätzen kein Ende finden. Um dem „Zauberberg“ etwas Zeitgenössisches entgegenzusetzen, habe sie „Sex and the City“ auf Deutsch angeschaut.
Sie findet einen deutschen „Tandempartner“, man übt wechselseitig die Sprache des anderen. Heute sind die beiden ein Paar, leben im Allgäu, haben gerade ein Haus gebaut, und nun besitzt sie – Fingerle strahlt – ihr erstes wirkliches Bücherregal von einem Schreiner, Heimat für ihre 948 Bücher. Natürlich lebe sie in einer Blase, sagt sie mit entwaffnender Unbekümmertheit. Was soll an Bildung schlecht sein? Und nur weil sie aus Bozen stammt und jetzt im Allgäu lebt, ist sie noch lange keine Bergliebhaberin. Sprachliche Unsicherheiten, die sie sich selbst attestiert, sind kaum zu bemerken. Nach mehr als zehn Jahren in Deutschland spricht Fingerle so gut wie akzentfrei.