Im Gespräch: Wolfgang Herrndorf : Wann hat es „Tschick“ gemacht, Herr Herrndorf?
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Bild: Illustration Burkhard Neie/xix
Erst war er bei der „Titanic“, dann schrieb er „In Plüschgewittern“ - und jetzt ist sein Roman „Tschick“ zum Bestseller geworden. Im Interview erklärt Wolfgang Herrndorf, warum schreiben kundenfreundlicher ist als malen.
Der Ort des Gesprächs, irgendwo in Berlin, tut nichts zur Sache. Und dass Wolfgang Herrndorf eigentlich keine Interviews gibt, merkt man ihm nicht an.
In der Rowohlt-Revue hieß es schon vor Erscheinen Ihres Buches: „Bei einer bestimmten Sorte Bücher schreiben Rezensenten so verlässlich wie einfallslos: Salinger, Fänger im Roggen, Holden Caulfield.“ Ein Versuch, gleichzeitig den Salinger-Vergleich ins Gespräch zu bringen, sich ironisch davon zu distanzieren und die Rezensenten zu mehr Originalität anzuhalten. Hat das funktioniert?
Ich musste eine Runde Bier ausgeben, als die erste Rezension ohne Salinger erschien. Aber es hat eine Weile gedauert.
Und wie ist das so? Ärgerlich, weil man sieht, wie sich der Aufziehschlüssel im Rücken des Rezensenten dreht? Oder schmeichelhaft?
Man wird ja nicht wirklich mit der Schreibkunst Salingers verglichen. Sondern mit dem Thema seines vermeintlichen Hauptwerks.
Sie halten den „Fänger im Roggen“ nicht für sein Hauptwerk?
Nein. „Nine Stories“. Aber egal, ist beides toll.
Dann sprechen wir jetzt über „Tschick“. Warum ein Jugendroman?
Ich habe um 2004 herum die Bücher meiner Kindheit und Jugend wieder gelesen, „Herr der Fliegen“, „Huckleberry Finn“, „Arthur Gordon Pym“, „Pik reist nach Amerika“ und so. Um herauszufinden, ob die wirklich so gut waren, wie ich sie in Erinnerung hatte, aber auch, um zu sehen, was ich mit zwölf eigentlich für ein Mensch war. Und dabei habe ich festgestellt, dass alle Lieblingsbücher drei Gemeinsamkeiten hatten: schnelle Eliminierung der erwachsenen Bezugspersonen, große Reise, großes Wasser. Ich habe überlegt, wie man diese drei Dinge in einem halbwegs realistischen Jugendroman unterbringen könnte. Mit dem Floß die Elbe runter schien mir lächerlich; in der Bundesrepublik des einundzwanzigsten Jahrhunderts als Ausreißer auf einem Schiff anheuern: Quark. Nur mit dem Auto fiel mir was ein. Zwei Jungs klauen ein Auto. Da fehlte zwar das Wasser, aber den Plot hatte ich in wenigen Minuten im Kopf zusammen.
Mit generationsspezifischen Ausdrücken und Angewohnheiten sind Sie dabei sparsam umgegangen. Trotzdem muss man ja herausfinden, was 1995 Geborene so mit ihrer Zeit und ihrem Geld anfangen. Sie sind Jahrgang 1965, woher wissen Sie das?
Ich weiß es nicht. Aber das kam mir gar nicht so problematisch vor, dass es sich um Jugendliche handelt - oder jedenfalls nicht problematischer als Handwerker, Ärzte oder Lokführer, wenn man die im Roman auftauchen oder sprechen lässt. Ich glaube nicht, dass Jugend ein spezielles Problem darstellt, auch wenn Scheitern da oft spektakulärer wirkt. Wobei ich mir nicht einbilde, es perfekt gemacht zu haben. Ich habe meinem Erzähler einfach zwei Wörter gegeben, die er endlos wiederholt, und den Rest über die Syntax geregelt. Wenn man erst anfängt, mit Slang um sich zu schmeißen, wird man doch schon im nächsten Jahr ausgelacht.
In Ihrem Blog heißt es: „Ich bin Schriftsteller, und man wird nicht glauben, dass Literatur mich sonst kaltgelassen hätte. Aber was jetzt zurückkehrt beim Lesen, ist das Gefühl, das ich zuletzt in der Kindheit und Pubertät regelmäßig und danach nur noch sehr sporadisch und nur bei wenigen Büchern hatte: dass man teilhat an einem Dasein und an Menschen und am Bewusstsein von Menschen, an etwas, worüber man sonst im Leben etwas zu erfahren nicht viel Gelegenheit hat: dass es einen Unterschied gibt zwischen Kunst und Mist. Einen Unterschied zwischen dem existentiellen Trost einer großen Erzählung und dem Müll, von dem ich zuletzt eindeutig zu viel gelesen habe, eine Unterscheidung, die mir nie fremd war, aber lange verschüttet.“ Was war der Müll, von dem Sie zu viel gelesen haben? Und wo ordnen Sie „Tschick“ ein? Große Erzählung oder Mist?