Herta Müller und Ruth Klüger : Im Schlamassel der Erinnerung
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Ruth Klüger, Sylvia Asmus und Hertha Müller (von links) Bild: Wolfgang Eilmes
Erinnerungskultur kann eine Form der Verdrängung sein und darf nicht zur Unterhaltung werden: Herta Müller und Ruth Klüger diskutieren in Frankfurt über Formen des Gedenkens.
Es kann kein Zufall sein, wenn in der Deutschen Nationalbibliothek über Formen des Erinnerns gesprochen wird - ist dieser Ort doch selbst so etwas wie das Gedächtnis der Nation, ein Raum, in dem für die Ewigkeit gesammelt wird. Dass eine Diskussion zu diesem Thema dann aber ein so großes Publikum anziehen würde, hat die Veranstalter selbst überrascht. Die gut sechshundert Interessierten jedenfalls ließen sich beim besten Willen nicht in den Vortragssaal der Bibliothek quetschen, so dass Generaldirektorin Elisabeth Niggemann kurzerhand eine Videoübertragung in den Vorraum organisierte.
Dabei ist das Thema fraglos drängend, und es führt in den kommenden Jahren kein Weg an der Diskussion vorbei, wie Deutschland mit seiner Erinnerungskultur, insbesondere mit dem Gedenken an den Nationalsozialismus, umgeht, wenn mit dem Tod der Zeitzeugen Erinnerung nur noch aus zweiter und dritter Hand stammt. Eine überzeugende Form dafür hat Herta Müller mit ihrem Roman „Atemschaukel“ gefunden. Die Mutter der aus Nitzkydorf stammenden Schriftstellerin war 1945 wie achtzigtausend weitere Rumäniendeutsche in die Ukraine zur Zwangsarbeit deportiert worden. Nach ihrer Rückkehr schlich sich die unbewältigte Lagererfahrung der Mutter ins Bewusstsein des Kindes und wurde später der Autorin, die in Oskar Pastior den Gesprächspartner fand, der ein ähnliches Schicksal erlitten hatte, zum Stoff.
Ich komme nicht aus Auschwitz, sondern stamme aus Wien
Gerade im Vergleich zu den ehemals stalinistischen Ländern Osteuropas, wo das Vergessen staatliches Programm ist, hob die Literaturnobelpreisträgerin in Frankfurt noch einmal hervor, dass kaum irgendwo so nachdrücklich erinnert werde wie in Deutschland. Dass heute die politische Lage in Ungarn oder auch in ihrem Geburtsland Rumänien womöglich eine andere wäre, gäbe es diese „Ikonographie des Glücks“ dort nicht, davon ist Herta Müller überzeugt. Dass jedoch auch die Gedenkkultur selbst die Gefahr birgt, im Ritual erstarrt in ihr Gegenteil umzuschlagen und selbst zu einer Form des Verdrängens zu werden, daran erinnerte Volker Weidermann: Dieses Land habe sich „so gut eingefühlt in seine Erinnerungsformeln“, so der Feuilletonleiter der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, dass sie gar nichts mehr bedeuteten.
Die in Amerika lehrende Germanistin Ruth Klüger, die als Kind dem Holocaust nur knapp entkam, wandte sich im Gespräch weniger gegen das Diktat der Aufarbeitung als gegen die Perversion, die aus einer Über-Identifizierung mit den Opfern entspringen kann. Zwar prägt die Zeit im Lager ihr eigenes Leben bis heute - 1942 war sie als Mädchen mit ihrer Mutter nach Theresienstadt und später nach Auschwitz und ins schlesische Christianstadt deportiert worden -, aber darauf will sich die Schriftstellerin, die vor wenigen Tagen achtzig wurde, nicht reduzieren lassen: „Ich komme nicht von Auschwitz her, ich stamm’ aus Wien“, sagt Ruth Klüger über sich.
Sie sollen keine allzu gute Zeit haben
Und auch deshalb ließ sie sich nach dem Krieg, gegen alle ungeschriebenen Gesetze, ihre KZ-Nummer vom Arm entfernen. „Das machte man nicht, aus Solidarität mit den Toten“, erzählt die zornige alte Dame in einem Wienerisch, das man heute kaum noch hört. Ihr sei das zu viel geworden, „vor allem im Sommer, wenn ich in Deutschland oder Österreich war“. Dafür hat sie, sagt sie, ihre Erinnerungen aufgeschrieben. Und ebenso, wie „weiter leben“ (1992) nüchtern und schonungslos schildert, was im Konzentrationslager geschah, respektiert Ruth Klüger auch im Gespräch keinerlei Konvention des Opferstatus. Unsere Geschichten dürfen nicht auf Märtyrer-Sagen verengt werden, fordert sie. Denn: „Wir waren keine Märtyrer.“
Eine Frau, erzählt Ruth Klüger dann noch, habe nach einer Lesung in Amerika zu ihr gesagt: „You know, I love the Holocaust.“ In dieser Episode kulminiert das Dilemma, das dem Erinnern innewohnt. Klüger formuliert es so: „Wir wollen den Leuten erzählen, was damals passiert ist. Aber wir wollen nicht, dass sie dabei eine allzu gute Zeit haben.“