Helmut Lethen im Gespräch : Bildung für Barbaren
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Es gibt auch auflockernde Passagen, mit denen Sie Stimmungen erzeugen. Das betrifft etwa die Verachtung, die Carl Schmitt bei Ihnen Gründgens entgegenbringt. Ein unglaubliches Ekel, denkt man beim Lesen.
Wer? Carl Schmitt?
Ja.
Aber was für ein kristallklarer Kopf – zuweilen! Messerscharf in seiner Begriffswelt, die permanent von seinem Absturz in sexuelle Obsessionen bedroht und ständig von seinem elementaren Antisemitismus verätzt wird. Die Schrift „Der Begriff des Politischen“ finde ich hochinteressant und brandgefährlich, weil jeder Machthaber in Schmitts Matrix von Freund und Feind die Mitbürger eintragen kann, die getötet werden dürfen.
Ging es Ihnen mit der Suggestion von Stimmungen darum, einer Sache Raum zu geben, die in der Geschichtsschreibung sonst nicht vorkommt: dem Sound?
Ja, um diesen Effekt geht es. Die Stimmung bei der Staatsgründung bewirkt die Auflösung des Einzelnen im Kollektiv. 68 Staatsräte werden Glieder eines magischen Rituals, in dem die Polizeifahnen Preußens (schwarzer Adler auf grünem Grund) mit den „Blutfahnen“ der Bewegung „vermählt“ werden, um dann im gemeinsamen Singen des Horst-Wessel-Liedes Teil der Gefolgschaft zu werden. Man stelle sich den baumlangen Furtwängler unter den Gauleitern beim Preisgesang auf die braunen Bataillone vor.
Sie stellen fest, dass schon an den frühen Tagebüchern die „flackernde Atmosphäre“ von Schmitts Einträgen auffällt. Im letzten Kapitel aus der Nachkriegszeit heißt es: „Schmitts Stimme wird geschmeidig: Kafka schaffe in seinen Erzählungen faszinierende Bilder der in sich kreisenden ,Verjudung‘ (das schon in leicht singendem rheinischem Tonfall.)“ Das kam mir ungeheuerlich vor, den Antisemitismus Schmitts noch mit einem Singsang auszuschmücken. Wozu?
Ich wollte das Flackernde reproduzieren, um die Niedertracht seines lobenden Kafka-Kommentars, der von Hass grundiert ist, zu betonen.
Aber ist es nicht ein Unterschied, ob Sie den Antisemitismus Carl Schmitts ausstellen, indem Sie ihn beschreiben oder ob Sie Ihre Fiktion dieses Antisemitismus ausstellen?
Ich glaube, dass diese Fiktion eine Wahrscheinlichkeit besitzt, die viele noch heute umgreift.
Sie haben 1994 ein Buch geschrieben, „Verhaltenslehren der Kälte“, in dem Sie die Schriften des Philosophen Helmuth Plessner als Code der zwanziger Jahre beschrieben haben. Auch in Ihrem neuen Buch kommen jetzt die „Verhaltenslehren der Kälte“ vor: Gründgens machte aus Plessners Auffassung von der Natur des Menschen eine Schauspiel-, Schmitt eine Staatslehre, Sauerbruch panzerte sich in stoischem Berufsjargon, Furtwängler lebte im Strahlenkranz des Dirigentenpults. Die Ordnungsstruktur des starken Staats übte auf alle vier eine große Anziehungskraft aus. Das galt 1931 auch für den konservativen Plessner. Wie muss man das verstehen? Projizieren Sie das, was Sie in den „Verhaltenslehren der Kälte“ geschrieben haben, jetzt zurück auf diese vier Staatsräte?
Ja und nein. Einerseits zeige ich Gestalten, die die Verhaltenslehren der Kälte im Umfeld des NS-Regimes beherzigen wollen: Wer sich in Form bringen will, muss einen Feind haben. Andererseits werden in Gründgens’ Sermon auf seinem Gut Zeesen, die Kälte-Lehren zu einer Schauspiellehre; und im Kapitel, worin ich beschreibe, wie Werner Krauss im Zuchthaus die „kalte persona“ als künstliche Experimentalfigur des freien Menschen erfindet, wird klar, dass die Verhaltenslehre der Kälte höchstens ein phantasiertes Handbrevier für präpotente Macchiavellisten ist.