Germanistin im Interview : Fontane war ein Pionier der Fake News
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Erst als Schriftsteller schätzte er den Realismus: Theodor Fontane Bild: Picture-Alliance
Theodor Fontane war mehr als vier Jahrzehnte Journalist, bevor er Schriftsteller wurde. Ausgerechnet er nahm es mit der Wahrheit nicht so genau, sagt die Germanistin Petra McGillen.
Wie sind Sie auf Theodor Fontane als frühen Produzenten von Fake News aufmerksam geworden?
In der Forschung ist schon lange bekannt, dass Fontane Zeitungsberichte verfasst hat, die er mit Phantasie und falschen Fakten frisierte. Neu ist die Erkenntnis, wie gut sein Vorgehen zu dem heutiger Fake-News-Produzenten passt. Das ist mir aufgefallen, als ich mich im Rahmen eines Buchprojekts eingehend mit Fontanes Arbeitsweise, seinen Notizbüchern und seinem Umgang mit Informationen befasst habe. Fontane hatte das Journalistenhandwerk gründlich gelernt. Er war mehr als vier Jahrzehnte lang professioneller Journalist. Er las täglich mehrere Zeitungen und war so über alles, was zirkulierte – Skandale und Gerüchte eingeschlossen –, stets im Bilde. Er wusste ungeheuer viel über die Medienszene seiner Zeit und hat nahezu alle Sparten bedient, unter anderem auch mit einer frühen Form von Fake News.
Für ein paar Jahre war er als Korrespondent in London.
Er war dort Presseattaché der preußischen Regierung. Mit seiner Berichterstattung sollte er ein Gegengewicht bilden zum sehr erfolgreichen österreichischen Korrespondenten Max Schlesinger, der in vielen deutschen Zeitungen gedruckt wurde und Preußen zu einflussreich geworden war. Aber es gelang Fontane nicht – Schlesinger war einfach zu gut.
War das der Grund, warum er begann, Dinge zu erfinden?
Fontane war immer klar, dass Journalisten im Wettbewerb stehen um die knappe Ressource Aufmerksamkeit. Tatsächlich hat er damals schon gelegentlich die Augenzeugenperspektive fingiert. Damit fiel er aber nicht völlig aus dem Rahmen. Die professionellen Standards im Journalismus bildeten sich seinerzeit gerade erst heraus.
Fontane verfasste später sogenannte unechte Korrespondenzen. Was war das?
Darunter verstanden Journalisten zu jener Zeit eine bestimmte Form von abgeschriebenen oder aufgehübschten Berichten. Es ist nicht ganz klar, wer damit angefangen hat, womöglich die „Deutsche Allgemeine Zeitung“. Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurde aus den unechten Korrespondenzen geradezu ein eigenes Genre. Bei den Lesern gab es bereits die durch große Zeitungen erzeugte Erwartungshaltung, dass man eigene Korrespondenten ins Ausland entsenden müsse. Nur so könne man sich von der standardisierten Berichterstattung der Agenturen abheben. Aber Auslandskorrespondenten kosteten viel Geld, und das hatte die in Berlin ansässige „Kreuzzeitung“ nicht, für die Fontane im Anschluss an seinen London-Aufenthalt arbeitete. So hat er jahrelang angeblich weiter aus London berichtet, ohne in dieser Zeit je wieder dort gewesen zu sein. Dass er es früher einmal war, hat ihm sicher geholfen, die Glaubwürdigkeit seiner Berichte zu erhöhen.
Können Sie ein Beispiel für seine unechte Berichterstattung nennen?
1861 hat er über ein verheerendes Feuer in der Londoner Tooley Street geschrieben. Nachdem es bereits seit Tagen wütete, hat Fontane die wichtigsten Passagen aus verschiedenen Zeitungen übernommen und aneinandergereiht, heute würde man sagen: copy and paste. Das Ganze hat er dann dramatisiert durch ausgedachte Details. Er erfand zum Beispiel einen Freund, der angeblich gute Beziehungen zur Londoner Polizei hatte und der es ihm ermöglicht hätte, näher als andere Journalisten an den Unglücksort zu kommen. Durch diesen Trick hat er seine Schilderungen gewissermaßen der Nachprüfbarkeit durch Kollegen entzogen.
Flog Fontane irgendwann auf?
Meines Wissens nicht. Andere schon, etwa sein Kollege George Hesekiel, der unechter Korrespondent für Frankreich und Spanien war. Er berief sich gerne auf einen Marquis, bis sich herumsprach, dass er selbst das war.
Hatte Fontane Unrechtsbewusstsein?
Nein. Er hat sehr früh die Auffassung geäußert, dass letztlich jede Nachricht Reproduktion sei, dass es ein Außerhalb des Mediensystems nicht mehr gebe. Das Verhältnis von persönlicher Erfahrung und medial vermitteltem Wissen verschiebt sich zu seiner Zeit tatsächlich massiv zugunsten des Letzteren. Niklas Luhmann würde sagen: Alles, was wir über die Welt wissen, wissen wir aus den Massenmedien. Fontane sagte sinngemäß: Alles, was wir wissen, wissen wir aus den Akten. Umso wichtiger wird es, sich wenigstens durch den Anschein der persönlichen Erfahrung abzuheben.
Hat er damit nie Probleme gehabt?
Er wurde durch den Chefredakteur gedeckt. Außerdem war es bei der „Kreuzzeitung“ mit der Wahrheit generell nicht so weit her, da ging es zum Teil um unverhohlene propreußische Propaganda. Und letztlich bedeutet „unechter Korrespondent“ ja nicht, dass alles, was er geschrieben hat, unecht oder falsch gewesen wäre, dass seine Berichte nicht auch Wahres enthielten. Fontane hat einmal gesagt: Mit Korrespondentenberichten sei es wie mit Anekdoten über Friedrich den Großen. Es gebe echte und unechte, und mitunter seien die unechten besser als die echten. Mit besser meinte er: besser geeignet, um etwas so eingängig zu beschreiben, dass es die Leser verstehen.
Ist es nicht paradox, dass ausgerechnet einer der wichtigsten Exponenten des literarischen Realismus mit verfälschten Nachrichten gearbeitet hat?
Im Gegenteil. Auf seine unechte Korrespondententätigkeit bin ich aufmerksam geworden, als ich mir die Frage stellte: Was hat Fontane bei der Zeitung gelernt? Eine Antwort ist: Er lernte Perspektiven zu simulieren, die dem Leser realistisch vorkommen, weil sie das verdoppeln, was der Leser aus der Massenpresse ohnehin kennt. Der Vorteil von Fontane als Forschungsgegenstand ist, dass man für seine Zeit noch gut nachvollziehen kann, wie verfälschte Meldungen in die Welt kommen und sich verbreiten. Bei dem Wust an Nachrichten heute ist das kaum noch möglich.