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Max Frischs 25. Todestag : Der Staatsschutz und sein Nachdichter

Max Frisch wurde jahrelang vom Schweizer Geheimdienst überwacht. Die gesammelten Akten bekam der Dichter kurz vor seinem Tod zu Gesicht. Bild: Wolfgang Haut

Der Schweizer Geheimdienst sammelte Fakten und Gerüchte über Max Frisch. Ein Buch zur sogenannten „Fichen Affäre“ stellt provokante Thesen auf.

          5 Min.

          Als „nicht faktisch, aber geistig tot“ bezeichnete der ehemalige Minister Rudolf Friedrich den Dichter Max Frisch, der selbst kein Beispiel für gelassene Toleranz war und einem ungeliebten Politiker auch mal den Handschlag verweigerte. Zwei Monate vor dem Fall der Berliner Mauer zelebrierte die Schweiz 1989 als einziges Land der Welt den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, von dem sie verschont geblieben war, fünfzig Jahre zuvor. Ende November 1989 stand dann die Abstimmung über die Abschaffung der Schweizer Armee auf dem Programm. Der ehemalige Soldat Frisch hatte sich in mehreren Schriften kritisch mit ihr befasst. In Zürich wollten rechtsbürgerliche Politiker um Rudolf Friedrich deshalb die Uraufführung seines Theaterstücks „Jonas und sein Veteran“, einem „Palaver über die Armee“, als gegen das Militär gerichtete Propaganda und Einmischung in den Abstimmungskampf verhindern. Es sollte Frisch letztes Stück bleiben, er starb am 4. April 1991, am Montag vor 25 Jahren.

          Jürg Altwegg
          Freier Autor im Feuilleton.

          Der helvetische Dialog zwischen den Intellektuellen, die „Enge“ und „kulturellen Holzboden“ ihres Landes beklagt hatten, und der politischen Macht war damals auf dem Tiefpunkt angekommen. Seit dem Zweiten Weltkrieg mit seiner „geistigen Landesverteidigung“ wurde Kritik in der Schweiz als Verrat - Landesverrat! - empfunden, Vom mentalen Zustand der Eidgenossenschaft auch nach 1945 zeugte die „Fichen-Affäre“, die ebenfalls im Epochenjahr 1989 publik wurde: Die Schweiz hatte Hunderttausende von Einwohnern ihrer politischen Gesinnung wegen überwacht. Aus Protest boykottierten die Kulturschaffenden zwei Jahre später die Feierlichkeiten zum 700. Geburtstag des „Schnüffelstaats“. Zwischen dem Fall der Berliner Mauer und der deutschen Wiedervereinigung fiel die Schweiz in eine Depression, in der nicht nur die Abschaffung der Armee, sondern des Staatsmodells schlechthin zum Programm wurde: unter dem Motto „La Suisse n’existe pas“ zeigte sich das Land auf der Weltausstellung von 1992.

          Die Observierung Max Frischs

          Frisch hatte die Karteikarten, die der Staatsschutz über ihn angelegt hatte, ausgerechnet am Nationalfeiertag zu Gesicht bekommen. Der Auseinandersetzung mit den Akten waren die letzten Monate seines Lebens gewidmet. „Die Fichen-Affäre setzte bei Frisch Energien frei“, schreiben David Gugerli und Hannes Mangold im Band „Ignoranz als Staatsschutz“ (Suhrkamp), den sie im Vorfeld von Frischs 25. Todestag herausgegeben haben. Er enthält die Akten der Beamten und die Kommentare und Korrekturen des offenbar lückenhaft observierten Max Frisch.

          Es ist eine mühsame Lektüre. Sie ergibt ein pingeliges Porträt des alten, kranken Dichters, der sich in Details und Rechthaberei verliert. „Das ist korrekt“, merkt er an, wenn etwas stimmt. „Auch das noch!“ heißt es an anderer Stelle, oder „Gott sei Dank“. Frisch beharrt darauf, von der Armee keine Einladung bekommen zu haben - „Ehrenwort“ -, obwohl es sie gab. Er korrigiert seine Adresse in Zürich (Nummer 28, nicht 18). Und dass er abends kein Bier, sondern Wein trinkt. Auch Lücken in den Akten ist er zu schließen bemüht. „Nicht vermerkt“ sei in den Protokollen des Geheimdiensts neben anderen Aktionen der Solidarität und des politischen Engagements, dass er 25 000 D-Mark, die er in Düsseldorf als Heine-Preisträger erhalten hatte, für ein Plakat zur Abstimmung über die Armeeabschaffung aufwendete. Frisch erinnert auch an Einladungen bei Schweizer Ministern und dem Bürgermeister von Zürich, angenommenen und abgelehnten: „F. antwortet mit ausführlichem, aber negativem Brief.“ Die Anmerkungen des Dichters sind nicht selbstironisch, sondern voller Sarkasmus.

          Die Frage des Schwarzen Balkens

          Um daraus ein einigermaßen präsentables Büchlein zu machen, steuern Gugerli und Mangold Fußnoten, Einleitung und Nachwort bei. Einen unsäglichen Eiertanz führen sie auf, wenn es um Frischs Anwesenheit beim Weltfriedenskongress 1948 in Polen, in Begleitung den Schweizer Publizisten François Bondy, geht. Frisch nennt in seinen Randbemerkungen beim Studium der Fiches den Schweizer Botschafter in Polen als Informanten -, „oder es ist François Bondy, der dafür keinen Schwarzen Balken braucht“. Beide Herren kann man sich schwerlich als Mitarbeiter des Geheimdienstes vorstellen. Die Herausgeber entblöden sich jedoch nicht, den grotesken Verdacht weiter zu schüren: „Wofür aber sonst könnte François Bondy einen Schwarzen Balken brauchen?“

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