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Ernst-Wilhelm Händler wird 70 : Die Fragen, die er stellt, beunruhigen

Schreiben ist reden und aufzeichnen: Ernst-Wilhelm Händler im Münchner Café Luitpold Bild: Jan Roeder

Ernst-Wilhelm Händler begibt sich immer aufs Neue ins Spannungsfeld von Philosophie und Ökonomie. Das macht ihn zu einem Solitär in der deutschsprachigen Literatur.

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          Was den schreibenden Ernst-Wilhelm Händler mit dem unternehmerischen verbindet, ist das Diktiergerät. Denn so wie bei dem ehemaligen Mittelständler, der bis zum Verkauf seiner Firma für Schaltschränke und Installationsverteiler nach jedem Kundenbesuch noch auf dem Parkplatz das Erinnerte ins Mikrofon sprach, entstehen auch seine Romane als Diktat. Wie er verriet, bedeutet schreiben für ihn vor allem reden und aufzeichnen.

          Sandra Kegel
          Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton.

          Verlässlich veröffentlicht der 1953 in München geborene Schriftsteller seit seinem Debüt „Stadt mit Häusern“ 1995 alle paar Jahre ein Buch. Dabei hat er sich einerseits der Vielseitigkeit verschrieben, sein Œuvre versammelt neben Romanen auch Kulturtheorien und Essays zu ökonomischen, gesellschaftlichen und künstlerischen Themen. Andererseits zieht es ihn gleichwohl immer aufs Neue ins Spannungsfeld von Philosophie und Ökonomie.

          Er lässt das Geld sprechen

          Seine literarischen Früchte erntet er besonders auf dem Feld der Wirtschafts- und Arbeitswelt, diesem in der deutschsprachigen Literatur zu wenig beachteten Genre. Er freilich kann die Innensicht liefern. Denn Händler hat zwar in München Philosophie studiert, dann aber seinen Diplomkaufmann abgelegt, ehe er über die „Logische Struktur und Referenz von mathematischen ökonomischen Theorien“ promoviert wurde. Chiffren, Mechanismen und Märkte lassen ihn nicht los. Und damit rückt er in „München.

          Gesellschaftsroman“ (2016) der Busserl-Gesellschaft ebenso zu Leibe wie 2019 der Finanzwelt in „Das Geld spricht“. Doch Händler widersteht der Versuchung, den Konjunkturzyklen mit leicht verderblicher Ware qua Aktualität zu folgen. Einen Roman zur Bankenkrise 2008 sucht man in seinem Werk vergeblich. Er dringt vielmehr ins Innere der Ökonomie vor und beobachtet mit distanzierter Kühle den gnadenlosen Abnutzungskampf.

          Finance verstehen die Deutschen nicht

          „Der Überlebende“ etwa thematisiert nicht nur inhaltlich, sondern bis in die Sprache hinein, wie Technik und Digitalität in unsere Lebenswelten hineinregieren mit Maschinen, die sich längst ihre eigenen Gesetze geschaffen haben. Diese vor zehn Jahren entstandene Dystopie liest sich heute angesichts der Entwicklung von KI und Chatbots fast prophetisch. Immer sind die Fragen, die Händler verhandelt, beunruhigend. Gibt es den perfekten Roboter? Findet sich noch eine Abzweigung, an der wir uns entschließen können, eine andere Richtung einzuschlagen?

          Auch in „Das Geld spricht“ verhandelt er die kühle, scheinbar leidenschaftslose Sphäre des Investmentbankings nicht als Auf- und Abstiegsgeschichte von Firmen, sondern der obsessiven Akteure, denen es um mehr geht als nur um Geld. „Finance“, das sei etwas, wovon die Deutschen nichts verstünden, meint der Erzähler, weil dies nichts mehr mit ehrlicher Arbeit zu tun habe. Interessant, dass der Autor selbst stets die Finger von Fonds und Aktien gelassen hat und sein Vermögen statt dessen in Immobilien und Kunst investiert. Das verrät den Künstler, der den Glauben an das auratische Objekt nicht verloren hat. Am 26.März wird Ernst-Wilhelm Händler siebzig Jahre alt.

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