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Emma Beckers Roman „La Maison“ : „Frau zu sein, hat mit Fiktion zu tun“

Manchmal Mitleid. Manchmal auch Hass. Es kann eine Kleinigkeit sein, die Hass auslöst. Aber genauso ist es auch im Café, in dem ich jetzt arbeite. Im Puff hatten die Leute mehr Respekt vor meiner Zeit und meiner Leistung.

Und hatten Freier Mitleid mit Ihnen?

Komischerweise nur die Franzosen, die sagten immer: Du bist so klug, warum machst du so etwas für Geld? Die Deutschen waren viel lockerer. Das ist eine gute Sache an deutschen Männern: Sie sind im Puff viel bessere Kunden. Sie wissen, dass die Frau vor ihnen arbeitet.

Im Roman geht es nicht nur ums Bordell, sondern auch um Berlin. Warum schreiben Sie so zärtlich über diese schreckliche Stadt?

Na ja, meine Meinung hat sich ein bisschen verändert seitdem. Ich mag die Stadt, aber die Berliner, oh mein Gott! Dass diese Berliner Schnauze zu einem art de vivre geworden ist, verstehe ich nicht. Es heißt immer, die Pariser sind schlimm, aber im Vergleich zum durchschnittlichen Berliner: Nein! Ich habe mich noch nie so viel mit Leuten auf der Straße gestritten wie hier.

Wenn Sie auf der Straße auf Deutsch streiten können, dann sind Sie jetzt gut integriert. Im Roman versteht Emma anfangs nur die Hälfte der Gespräche mit ihren Freiern.

Für mich war genau das am Anfang ganz gut, denn dadurch konnten sich nicht so viele Gefühle in die Arbeit einmischen. Aber wenn du diesen Beruf machst, in so einem Haus, musst du unbedingt ein bisschen Deutsch sprechen.

Und?

Ich habe blitzschnell Deutsch gelernt. Es war wie in einen Pool zu springen, ohne schwimmen zu können. Wenn ich mir meine Freunde anschaue, die seit zehn Jahren in Berlin leben und kein Deutsch können, hatte ich Glück.

Glauben Sie Ausländerinnen, die im Bordell arbeiten, haben es leichter, sich hier zu integrieren?

Ich glaube, es gibt in diesem Beruf eine Solidarität, die stärker ist als in anderen Berufen. Vielleicht sage ich das nur, weil ich nie Lust hatte, Teil einer Mannschaft zu sein. Außer von dieser Mannschaft.

Und sagte man in dieser Mannschaft auch das Wort „Sexarbeiterin“?

Damals habe ich immer „Hure“ gesagt, und ich benutze das Wort immer noch. Aber es muss auch ein höfliches Wort geben, und „Sexarbeiterin“ finde ich viel besser als „Prostituierte“.

Warum?

„Prostituierte“ ist schon grammatikalisch passiv. Obwohl es ein Beruf ist, für den man viele Kompetenzen haben muss. Eine Dienstleistung. Man muss möglichst höflich sein, lächeln, die Wünsche der Kunden respektieren. „Sexarbeiterin“ klingt nach Arbeit, danach, dass man sich Mühe gibt und Respekt verdient.

Was ist Sexarbeit im Zeitalter von Identitätspolitik? Weibliches Empowerment? Oder immer noch das älteste Gewerbe der Welt?

Ich habe es als Empowerment erlebt. Doch nicht immer. Wenn du einen schlechten Tag hast, dann ist es Sklaverei. Aber so ist es in jedem anderen Job auch. Ich will nichts verallgemeinern. Natürlich kann man sich nicht empowered fühlen, wenn man für einen Zuhälter arbeitet. Aber wenn die Bedingungen gut sind, dann schon. Das habe ich bei meinen Kolleginnen gesehen. Manche waren alt, über 60, und hatten trotzdem viele Freier. Es ist toll zu wissen, dass ein Körper nicht wie einer auf den Magazinen sein muss, um begehrenswert zu sein.

Wussten Ihre Eltern von Ihrer Recherche?

Meiner Mutter hatte ich gesagt, dass ich in den Puff gehe, um mit Frauen zur reden. Doch sie wusste, dass es mehr war. Meinem Vater habe ich das Buch erst gegeben, als es fertig war. Ich glaube, er hat es nicht gelesen. Und das finde ich nicht so schön, denn es geht um die letzten fünf Jahre meines Lebens. Aber ich glaube auch, dass Väter und Töchter über körperliche Dinge oft nicht miteinander sprechen können.

Welche Widmung haben Sie Ihren Eltern in das Buch geschrieben?

Die Widmungen für meine Eltern sind immer die gleichen. Ich schreibe, dass ich sie liebe. Das fällt mir leichter, als es ihnen zu sagen.

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