Ingeborg Bachmann : Horror vor der Sprache der Bundesdeutschen
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Zeigen und verbergen: Ingeborg Bachmann, aufgenommen 1962 in Rom, als Foto heute im Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek Bild: Mario Dondero
Wo kein Geheimnis war, wird nie etwas zu finden sein: Das Literaturmuseum Wien verbeugt sich vor der großen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann.
Der fünfzigste Todestag Ingeborg Bachmanns jährt sich am 17. Oktober 2023, doch das Rennen um die Gedenktagsaufmerksamkeit hat schon begonnen. Die Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB) ist seit 1978 im Besitz des Nachlasses der Schriftstellerin, der seit sieben Jahren auf der UNESCO-Liste des Weltdokumentenerbes steht. Nun hat die ÖNB in ihrem Literaturmuseum „eine Hommage“ an die Dichterin eingerichtet, auch, wie Kerstin Putz, die zusammen mit Martin Hansel die Schau kuratiert hat, weil das Genre Hommage in Bachmanns Werk eine Rolle spiele, etwa in der Erzählung „Hommage an Maria Callas“. Diese beginnt mit dem Satz „Was große Kunst ist, was ein Künstler ist, wurde mir eines Tages bewusst, als ich die Sängerin Maria Callas hörte“.
Die Messlatte liegt also hoch. Verhandelt wird eine Figur, in deren Entourage stets die Worte „Mythos“ und „Faszination“ auftreten. Der Superlativ-Großmeister Thomas Bernhard hob Bachmann in den höchsten Himmel. Ihr Gedicht „Böhmen liegt am Meer“ von 1964 pries er als das „schönste und beste“, das jemals in dieser Sprache geschrieben wurde. Wenn man den Ausführungen Elfriede Jelineks in dem Film „Der Fall Bachmann“ (1990) folgt, hat die Dichterin einen „Horror vor Bundesdeutschen“ gehabt, eben wegen deren Sprache („Raus!“). „Österreichischer als Bachmann kann man nicht sein“, sagt Jelinek, die ihr nur einmal begegnet ist und es nicht wagte, sie anzusprechen. Bachmann habe gewusst, „dass sie vollendete Gedichte schreiben kann“, so Jelinek, und deshalb habe sie damit aufgehört.
Ausgebeutet als literarisches Material
Sie war früh berühmt, im Alter von achtundzwanzig Jahren war ihr Porträt auf der Titelseite des „Spiegels“, zwei Jahre später saß sie Modell für eine Büste. Österreich wurde ihr zu klein, sie zog nach Rom, in die Via Bocca Leone, nur wenige Schritte von der Spanischen Treppe entfernt. Und doch habe ihre Heimat eine große Rolle gespielt, wie ihr Bruder Heinz Bachmann im Filminterview sagt. Sie sei oft nach Kärnten zurückgekehrt, um durchzuatmen, auch im Wortsinn, weil die Luft in Rom so schlecht gewesen sei.
Ausgestellt ist dazu Bachmanns Wanderkarte des Kreuzbergls, des Hausbergs der Klagenfurter, mit welcher die Erzählung „Drei Wege zum See“ aus dem Band „Simultan“ (1972) einsetzt. Die Familie habe immer lang gezögert bei der Freigabe von Rechten für Briefwechsel-Editionen, sagt Heinz Bachmann, um die Privatsphäre der Briefpartner zu schützen. Stimmt schon: Immer wenn ein Band mit Briefen erscheint, schlagen die Wogen hoch. Im aktuellen Fall turmhoch, weil es sich um die Korrespondenz mit dem fünfzehn Jahre älteren Schweizer Max Frisch handelt, mit dem Bachmann eine kräftezehrende Liaison einging. Ein einziger Brief von Frisch vom 11. Juni 1959 wird gezeigt, in dem er der „lieben Inge“ einen Traum schildert, den er später in „Mein Name sei Gantenbein“ verwenden wird. So wie er gemeinsam Erlebtes ausschlachten wird, wie Bachmann entsetzt feststellt, die fortan von Frischs Roman als ihrem „Blutbuch“ spricht und jede Seite notiert, auf der sie sich erwähnt sieht. Literarisches Material wollte sie nicht sein.
Das denkmalgeschützte Hofkammerarchiv ist kein einfach zu bespielendes Gemäuer. Damit das Exerzitium nicht zu streng ausfällt, hat man auf helle, bedruckte Stoffbahnen zurückgegriffen, Symbole für das Wechselspiel zwischen Zeigen und Verbergen, um das die Schau kreist. Um es mit Bachmann zu sagen: „Wo kein Geheimnis war, wird nie etwas zu finden sein.“ Für Bachmann-Philologen bietet die Hommage vermutlich wenig Geheimnis, allen anderen zeigt sie eine Figur mit Sogkraft. Sogar die eher geistesferne „Kronenzeitung“ widmete der Schau ein Artikelchen („Ein großer Geist und doch eine unglückliche Person“).
Als der Krieg ausbricht, ist Bachmann dreizehn. Ein Gedicht aus dem Oktober 1944 hebt an mit „Eine einzige Stunde frei sein! / Frei, fern“. Die Freiheit stellt sich im Jahr darauf ein. Sie legt eine Dissertation über Heidegger vor, arbeitet für den Radiosender Rot-Weiß-Rot der amerikanischen Besatzungsmacht. 1952 schreibt sie ihr erstes Hörspiel und liest zum ersten Mal bei der Gruppe 47. Sie versucht sich als Komponistin, als Librettistin vor allem für Hans Werner Henze („Der junge Lord“) ist sie eine Hausnummer.
Das Gift des Nationalsozialismus
Durch viele großformatige Fotografien, darunter wenige in Farbe, entsteht ein Gefühl, die Autorin wäre gegenwärtig. Persönliche Utensilien wie eine Zigarettenschachtel der Marke „Nil“ oder Schreibmaschinen, mit denen sie schrieb, ergänzen das Bild. Die Originalmaschinen blieben freilich im Archiv, die ausgestellten können Besucher nutzen, um eine Hommage zu hinterlassen, darunter zwei elektrische Modelle der Marke Olivetti, für die Bachmann in den Sechzigerjahren Werbetexte schrieb. Eine Serviette mit einem Gedicht, undatiert. Flankierend sind Arbeiten von Künstlern zu sehen, die sich von Bachmann inspiriert fühlen wie Michael Haneke, Ruth Beckermann und Sabine Gruber.
Im Nachlass liegen sechstausend Briefe, gezeigt werden welche von Celan, Fried, Scholem, Enzensberger, Aichinger und Adorno. Auch Henry Kissinger, der Bachmann zur Harvard Summer School eingeladen hatte, ist vertreten. Viele Männer sind der Ausstrahlung dieser Frau erlegen, die das Verhältnis von Mann und Frau durch das Gift des Nationalsozialismus als nachhaltig beschädigt erlebte. Geschlechterverhältnisse stehen deshalb an zentraler Stelle, bilden die Mitte der Schau. „Ihr Ungeheuer mit Namen Hans!“ schreibt sie im Hörspiel „Undine geht“.
Zwei Filmdokumente stammen aus dem letzten Lebensjahr. Zunächst sieht man Ingeborg Bachmann bei einem Polen-Besuch, privat gefilmt hat der damalige Kulturattaché Hans Marte, später ÖNB-Generaldirektor. Man sieht die Autorin mit Kopftuch an Blumen zupfen, in einem Getreidefeld stehen, auf einem Kahn im Wind. Die Kamera folgt einer Besuchergruppe durch das KZ Auschwitz-Birkenau, Schwenks über Stacheldraht und Baracken. In einem Interview wird Bachmann sagen, sie habe gedacht, sie könne über Auschwitz sprechen, aber „seit ich es gesehen habe, glaube ich, das nicht mehr zu können“. In einer ORF-Produktion hört man die zittrig klingende Dichterin aus dem Off zu Bildern aus Rom, wo sie, tablettensüchtig und alkoholkrank, einem Wohnungsbrand zum Opfer fiel.
Ingeborg Bachmann. Eine Hommage. Im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien. Bis zum 5. November 2023. Der Katalog kostet 29,90 Euro.