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Buchpreis für Anne Weber : Bitte besonders eifrig klatschen

Anne Weber nach dem Gewinn des Deutschen Buchpreises 2020 im Kaisersaal des Frankfurter Römers Bild: dpa

Eine starke Finalistenrunde findet sich im notgedrungen schwach besetzten Kaisersaal des Frankfurter Römers ein. Dort wird der Roman bekanntgegeben, der den diesjährigen Deutsche Buchpreis gewinnt: „Annette, ein Heldinnenepos“ von Anne Weber. Und plötzlich ist da eine andere Geschichte präsent.

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          Knapp drei Dutzend Personen dürfen an diesem Montagabend in den Frankfurter Kaisersaal hinein – also schauen mehr verblichene Monarchen von den Wandgemälden ringsum herab, als lebende Menschen im Raum sind. Sechs für den Deutschen Buchpreis nominierte Autoren plus jeweils eine Begleitperson vom Verlag: Das machte schon einmal das erste Dutzend voll – wenn denn alle gekommen wären, aber die generell eher weniger an Öffentlichkeit interessierte Christine Wunnicke ist lieber in München geblieben, wo sie aus dem Literaturhaus zugeschaltet ist. Dazu die Moderatorin, die Jury, der Vorleser, die Hautevolee von Stadt und Börsenverein des deutschen Buchhandels, und das zweite Dutzend Plätze ist vergeben. Das dritte entfällt auf die fleißigen technischen Helfer, die dafür sorgen, dass diese Verleihung des Deutschen Buchpreises wie auch sonst üblich über Deutschlandfunk Kultur und die Homepage des Börsenvereins in alle Welt hinausgetragen wird. Denn auch in den unbeschwerten Vorjahren gab es stets mehr Interessenten für die Veranstaltung als Plätze im Saal.

          Andreas Platthaus
          Verantwortlicher Redakteur für Literatur und literarisches Leben.

          Die Entscheidung, mit der Verleihung im angestammten Kaisersaal zu bleiben, war früh getroffen worden, noch zu einem Zeitpunkt, als die Frankfurter Buchmesse optimistisch erwartete, ihre Tore öffnen zu können und trotz Abstandsverpflichtungen und Besucherbeschränkungen auf dem Messegelände viele Aussteller anzuziehen. Das erwies sich als falsch, und so wurde im September das physische Messegeschehen abgesagt, doch die Buchpreis-Verleihung blieb erhalten, und man muss ihr konzedieren, dass sie gut daran getan hat, nicht in einen größeren Saal umzuziehen, um mehr Zuschauer zu ermöglichen, denn gerade heute erwies sich, dass nicht einmal der größte denkbare Saal der Stadt, die Frankfurter Festhalle (bis zu 13.500 Personen), bei den derzeitigen Infektionszahlen für geeignet gehalten wird, auch nur ein paar hundert Menschen Platz zu bieten. Die Buchmesseneröffnungsfeier und die Veranstaltungen auf der ARD-Buchmessenbühne werden in dieser Woche dort zwar stattfinden, aber ganz ohne Publikum – wie es im Kaisersaal eben von Beginn an geplant wurde. Also gab es hier auch keine Enttäuschung.

          Und der Ablauf profitiert von der Ausnahmesituation. Statt pathetischer Grußworte gibt es erfreulich unaufgeregte Gespräche mit der Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig und der Börsenvereins-Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs. Gut, die geschmäcklerischen Filmchen über die Shortlist-Autoren, kurze Lesungen aus den nominierten Büchern, belangloses Geplauder mit der Jury-Vorsitzenden Hanna Engelmeier – das alles bleibt. Aber wollten wir überhaupt eine komplette Neuerfindung just in diesem Jahr, wo doch alles, was in einigermaßen vertrauter Weise durchgeführt werden kann, als große Tat gelten darf? Ja, durchaus. Denn seit 2005 so ziemlich jedes Jahr aufs Neue das einfallslose Raster der Preisverleihung umgesetzt zu sehen, nur um nach fünfzig recht zähen Minuten den kurzen Spannungsmoment der Bekanntgabe des Gewinnerbuchs und die Dankesrede zu genießen, das bleibt wenig erbaulich. Diesmal gibt es wenigstens fünf lebendige zum Auftakt.

          Ebenso streng wie historisch bewusst

          Eigentlich geht es sogar noch früher los: mit einer Art Fehlschaltung ein paar Minuten vor Beginn. Da können wir noch den Appell der Moderatorin Cécile Schortmann an die Gäste im Saal mithören, besonders eifrig zu klatschen, um die kleine Zuhörerzahl zu kompensieren. Es ist hübsch, was so alles in Videokonferenzen und Livestreams derzeit an ungewollten Regieanweisungen oder Absprachen über den Äther geht. Solche Spontaneität hätten wir gerne mehr im strikten Ablaufkorsett der Buchpreisverleihung gesehen.

          Auch bei den Autoren der fünf Bücher, die leer ausgingen, gibt es selbstverständlich Enttäuschung. Berechtigte zumal, denn Bov Bjerg (sein nominierter Roman heißt „Serpentinen“), Dorothee Elmiger („Aus der Zuckerfabrik“), Thomas Hettche („Herzfaden), Deniz Ohde („Streulicht“) und Christine Wunnicke („Die Dame mit der bemalten Hand“)  haben jeweils beeindruckende Werke geschrieben; selten gab es eine qualitativ so ausgeglichene Finalistenschar wie in diesem Jahr. Jeder Unterlegene wird immerhin für seinen Platz auf der Shortlist mit 2500 Euro belohnt. Von der Aufmerksamkeit im Buchhandel für ihre Romane ganz zu schweigen.

          Das Gewinnerbuch jedoch, Anne Webers „Annette, ein Heldinnenpos“, erhält 25.000 Euro und noch viel mehr Aufmerksamkeit – Titel, die den Deutschen Buchpreis zugesprochen bekommen, sind sichere Verkaufserfolge im Jahresendgeschäft. Die Auflagenzahl von Anne Webers beim Verlag Matthes & Seitz erschienenem Roman, einem Vers-Epos, wird mutmaßlich nicht gerade durch die Decke gehen, aber diese Autorin endlich beim großen Publikum etabliert zu sehen, ist eine Freude. Sie ist eine ebenso strenge wie historisch bewusste Geschichts- und Geschichtenschreiberin. Und als sie in ihrer Dankesrede – der längsten, die der Deutsche Buchpreis bislang sah – kaum über ihr Buch, aber über dessen Heldin, die französische Widerstandskämpferin und Menschenretterin Anne Beaumanoir, erzählte, da war Corona kurz vergessen. Weil eine ganz andere Geschichte plötzlich viel wichtiger war. Danke dafür.

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