Der Goncourt-Preisträger im Gespräch : Warum suchen Sie das Abenteuer, Monsieur Jenni?
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„Ich habe mich einfach gefragt, was passiert, wenn jemand weit wegfährt und schreckliche Dinge erlebt“: Goncourt-Preisträger Alexis Jenni Bild: Burkhard Neie/xix
Was passiert, wenn ein Lehrer mit seinem Debütroman den wichtigsten Literaturpreis des Landes gewinnt? Alexis Jenni über den Prix Goncourt, das Ende der Selbstbeherrschung und das Schreiben über den Krieg.
Alexis Jenni ist Biologielehrer in Lyon und hat mit seinem Debütroman 2011 den Prix Goncourt gewonnen, die begehrteste literarische Auszeichnung Frankreichs. Ihn selbst scheint das nicht verändert zu haben - sein Leben schon.
Monsieur Jenni, Sie haben im vergangenen Jahr mit Ihrem Debütroman „Die französische Kunst des Krieges“ gleich den begehrtesten Literaturpreis Frankreichs gewonnen, den Prix Goncourt. Sie leben in Lyon und hatten nun plötzlich Zugang zum Pariser Literaturkosmos, den Sie vorher kaum gekannt haben dürften. Wie war das?
Man hat mich oft damit in Verbindung gebracht, dass ich nicht zum literarischen Milieu gehöre und dass ich Lehrer bin, noch dazu Biologielehrer. In Paris hat man mich kommen lassen, manchmal auch ein wenig herablassend angesehen. Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll. Ich übertreibe jetzt ein bisschen mit meiner Naivität. Aber ich bin ein netter, umgänglicher Kerl, ich habe mich ganz gut eingefügt. Die Leute, auch die berühmten, kennenzulernen ist interessant, aber letztlich ist es mir auch egal. Immerhin habe ich Leute getroffen, deren Bücher ich gelesen habe, und ihnen gesagt, dass ich sie mochte.
An wen denken Sie?
Philippe Sollers, Patrick Deville und einige andere. Aber das war nur die Freude eines Groupies. Ich bin auf einen Schlag sehr berühmt geworden und vielen Leuten begegnet, aber richtig gute Begegnungen gab es nur wenige. Aber das ist nicht schlimm. Ich habe das Glück genossen, das es zu genießen gab.
Wie haben Sie eigentlich erfahren, dass Sie den Goncourt gewonnen haben?
In der letzten Woche waren nur noch vier Namen auf der Liste. Wie man so hörte, standen die Chancen fifty-fifty zwischen Carole Martinez und mir.
Und mit diesem Wissen haben Sie ein paar Tage gelebt.
Ja, in dieser Woche bin ich erst zu einer Buchmesse nach Beirut geflogen. Ich war abgelenkt. Am Tag der Verkündung bin ich nach Paris zurückgekehrt, morgens hatte ich einen Termin beim Fernsehen, und danach hatte ich ein bisschen Zeit. Von Gallimard hatte ich mir ein Buch geliehen, in dem ich zu lesen versuchte, aber irgendwann stellte ich fest, dass ich immer wieder denselben Absatz las, da habe ich es beiseitegelegt. Mein Telefon lag vor mir auf dem Tisch, ich habe es dann eine Weile angestarrt. Und dann hat es geklingelt, der Pressevertreter von Gallimard war dran und hat gesagt: „Alexis, du hast den Goncourt!“ Dann habe ich meine Frau angerufen, und meine schöne Selbstbeherrschung fiel in sich zusammen. Mit den Leuten von Gallimard bin ich dann zu Drouant gefahren, in das Bistro, wo sich die Jury des Goncourt trifft, und dort warteten schon ungefähr zweihundert Journalisten. Das ging den ganzen Tag. Mein Telefon hörte nicht auf zu vibrieren, ständig kamen neue SMS. Um zwei Uhr morgens war ich wieder alleine und habe, weil ich nicht schlafen konnte, alle SMS beantwortet. Am nächsten Tag bin ich nach Lyon zurückgefahren. Und dort wurde ich wieder von Journalisten verfolgt, die mich begleiten wollten, wenn ich zurück in meine Klasse ging.
Aber das haben Sie nicht mitgemacht?
Nein.
Wie hat sich Ihr Leben in Lyon verändert?
Ich bin jetzt ein Star in Lyon (lacht). Ich habe eine Ehrenmedaille bekommen, und der Bürgermeister hat mir am Tisch sehr zuvorkommend zu trinken nachgeschenkt. Ich wurde oft eingeladen, die lokale Presse berichtete, das war kolossal. Wissen Sie, die Tatsache, dass ich aus Lyon stamme, ist für Lyon selbst sehr gut. Das funktioniert noch immer nach dem Motto: Der Kerl aus Lyon hat es in Paris geschafft.
Und wie war es an der Schule?
Irgendwie habe ich dort jetzt einen besonderen Status. Es ist schon seltsam, man hört mehr auf das, was ich sage. Dabei habe ich genau dasselbe schon vorher gesagt. Das ist ein bisschen zweischneidig. Jetzt bin ich so bekannt, dass man mich zuweilen auf der Straße anhält.