„Sorgt, daß sie nicht zu zeitig mich erwecken“
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Das Unseriöse sieht man ihm nicht an, aber er liebt es als Grundlage der Literatur: Daniel Kehlmann. Bild: Jens Gyarmaty
Die Betrachtung des Schriftstellers gebiert Ungeheuer. Eine Rede zu meiner eigenen Literatur und zu literarischen Prinzipien allgemein.
I
Im Jahr 1978 beginnt der amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA das Stargate Project. Es geht um den kontrollierten Einsatz paranormaler Fähigkeiten, vor allem um das sogenannte Remote Viewing. Das Strategic Research Institute in Menlo Park im Silicon Valley wird damit beauftragt, Hellseher auszubilden.
Man geht mit akribischem Ernst zu Werk. Im Dezember 1986 verfassen die Herren Scott Hubbard und Gary Langford ein Papier mit dem Auftrag „A Suggested Remote Viewing Training Procedure“. „Einige Individuen“, liest man da, „haben sich fähig gezeigt, Information akkurat wahrzunehmen, welche durch die ‚konventionellen Sinne‘ nicht verfügbar ist und diese Eindrücke in Worten und Symbolen wiederzugeben. Zuweilen können sie Ereignisse, Orte, Objekte, Personen oder Gefühle mit hoher Qualität beschreiben.“
Es brauche, schreiben Hubbard und Langford, 25 bis dreißig Trainingssitzungen, am besten in stiller und kühler Umgebung, bis sich geeignete viewers – übersetzen wir ruhig mit „Sehern“ – vom Mittelmaß zu unterscheiden begännen und, zunächst in kurzen Erkenntnisblitzen, dann in ausführlicher und konsistenter Weise Informationen über ihr target, ihr Ziel, empfangen könnten.
Man kann schon verstehen, daß einem Nachrichtendienst derlei Fähigkeiten zupass kämen. Und so liest man mit beglückter Verblüffung jene inzwischen der Öffentlichkeit freigegebenen Forschungsdokumente, in welchen das SRI seine telepathischen Experimente schildert. Jede Menge Skizzen und Graphiken gibt es da, die meisten von eher dadistischer Natur, andere wenigstens im Ansatz durchschaubar. Wichtig sei die Reduktion von noise, also allem Ablenkenden. Ablenkung könne naturgemäß von außen, aber auch von innen geschehen. An einem ruhigen, kühlen Ort also solle der remote viewer tätig werden und in großer Konzentration. Trance könne helfen, sei aber nicht unbedingt notwendig. Habe man solche Bedingungen hergestellt, könne man dem viewer eine Aufgabe geben, etwa: „Beschreibe das Individuum, das eine bestimmte Straftat an einem bestimmten Datum verübt hat.“ Und dieser, so versichern die Herren Hubbard und Lanford, zeichne dann ein „sehr akkurates Porträt der Gesichtsmerkmale“ der gesuchten Person.
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