Christoph Hein wird siebzig : Epik für prekäre Leser
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Schriftsteller Christoph Hein Bild: interTOPICS/STAR-MEDIA
Vom „westlichen“ Schriftsteller in Ostdeutschland wurde Christoph Hein zum DDR-Schriftsteller im wiedervereinten Deutschland. Sein trockener Stil und seine trotzigen Figuren sind geblieben. Von Altersmilde keine Spur.
Was bleibt von der Lakonie eines Albert Camus, wenn man die algerische Sonne weglässt? Der vom pathetischen Schwarz in eine Palette von Grautönen überführte Existentialismus Christoph Heins. „Ich habe keine Botschaft, keine Zukunftsvisionen. Alles was ich mache, ist mitleidslos genau aufzuschreiben, was ich gesehen, erlebt, erfahren habe.“
Das ist das Credo des im schlesischen Heinzendorf Geborenen. Hein pflegt den trockenen, ausgekühlten Stil. Seine Figuren sind Gekränkte mit unvergessenen Demütigungen im Gepäck. Wie das Vertriebenenkind Bernhard Haber in Heins autobiographisch grundiertem Roman „Landnahme“ (2004). Dem Zehnjährigen wird um 1950 das fiktive sächsische Guldenberg zur kalten Heimat. Vom Lehrer gefragt, woher seine Familie stamme, antwortet er: „Wir kommen aus Breslau.“ Worauf der Lehrer ihn zurechtweist: „Aus Wroclaw.“
Gebrauchtwagenpark als Schauplatz der Umbruchszeit
Perplex ist der parteitreue Pädagoge allerdings, als der Junge ihm hinterherwirft: „Aber geboren wurde ich in Breslau.“ Ja, sie sind allesamt Trotzköpfe, die Helden Heins, sie haben ihren kleinen Kohlhaas-Komplex. Rachefeldzüge stehen zwar nicht in Aussicht, aber Selfmade-Karrieren von Männern wie Haber, der am Ende zu den Honoratioren des Städtchens gehört, in dem er und sein kriegsversehrter Vater einst schikaniert wurden.
Warnung vor zu viel Euphorie - das war das Grundmotiv von Heins Rede am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz, und diese Warnung findet sich auch in seinen Romanen. Dabei ist seinen Figuren der Lebensgenuss keineswegs fremd, wie dem Gebrauchtwagenhändler Willenbrock, der in seiner Lebenstüchtigkeit ein wenig an John Updikes Harry Angstrom erinnert. „Willenbrock“ (2000) ist einer der gelungenen Nachwenderomane; der auf ödem Feld installierte Park mit Gebrauchtwagen, größtenteils für die Weiten Osteuropas bestimmt, ist ein triftiger, symbolkräftiger Schauplatz der Umbruchszeit und ihrer Geschäftemacherei.
Anziehend und abstoßend zugleich
Bei aller Abneigung gegenüber dem Moralisieren hat Hein immer wieder heftige Affekte gegen das Modische und Zeitgeistige geäußert. Die Reserve gegen den Westen prägte sein Werk auch nach 1989. Galt er zuvor als westlichster Schriftsteller jenseits der Elbe, so bekam man von ihm nun grundsolide DDR-Romane über die Bundesrepublik zu lesen. Zumindest insofern, als Hein die in den achtziger Jahren in Werken wie „Horns Ende“ entwickelte Poetik weiterführte, mit dem Rückzug auf die Position des Chronisten und Berichterstatters, der mit den emotionalen Beschädigungen seiner Figuren einen Subtext über die Verhältnisse liefert, das Ungenügen zwischen den Zeilen zu erkennen gibt und den säuerlichen Unterton nicht immer vermeidet.
Dabei ist es Hein immer wieder gelungen, Charaktere zu zeichnen, die fesseln, weil sie sowohl anziehend wie abstoßend wirken. In „Weiskerns Nachlass“ (2011) folgte er den Launen eines missvergnügten Philologen in Zeiten der Hochschulreform. Es ist das Epos für prekäre Geisteswissenschaftler mit Absturzangst, wie sich überhaupt in Heins neueren Werken Züge der Komödie geltend machen. Zur Altersmilde aber kann man dem Schriftsteller, der am Dienstag siebzig wird, deshalb noch lange nicht gratulieren; gut so.