Günter de Bruyn : Als Poesie ganz wunderbar
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Chronist, Historiker, Entdecker und Erzähler: Eine Ausstellung in Potsdam erinnert an Günter de Bruyn und seine Hinwendung zu Brandenburg.
Einen besseren Spurensucher durch die Literaturlandschaften Brandenburgs und Berlins kann es nicht geben: Der Schriftsteller Günter de Bruyn (1926 bis 2020) hat nicht nur weiter erschlossen und gesichert, was Fontane auf seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ festgehalten hatte, sondern vieles neu hinzuentdeckt. Neben Fontane, E. T. A. Hoffmann oder Tieck edierte er in der Reihe „Märkischer Dichtergarten“ damals auf dem Buchmarkt so wenig verfügbare Autorinnen und Autoren wie Rahel Levin (Varnhagen), Fouqué oder Nicolai – wenn nicht sogar fast Unbekannte. Wer hatte in den Achtzigerjahren schon viel von Moritz Heimann, Friedrich August Ludwig von der Marwitz oder Friedrich Schmidt von Werneuchen gehört?
Dieser Lebensleistung de Bruyns ist jetzt eine große Ausstellung in Potsdam gewidmet, die seit April durch die Mark gewandert ist, von Frankfurt an der Oder über Beeskow, Friedersdorf, Nennhausen und Erkner bis in die Landeshauptstadt. Und wie de Bruyn selbst von seinen Spaziergängen stets mit Fundstücken zurückkehrte, so hat auch die von Christiane Barz klug kuratierte Schau unterwegs noch neues Material aufgenommen und wird jetzt von einem soliden Katalog und Aufsatzband begleitet. Seit dem Start sind mehr als sechzig Exponate hinzugekommen, die sich noch in der Alten Schäferei in Görsdorf bei Beeskow fanden. Hier lebte de Bruyn mitten in der „Wildnis“ in einem alten, nach und nach sanierten Haus glücklich „wie nach einer Flucht“ – mit dem einzig erstrebenswerten Luxus, „in Ruhe gelassen zu werden“. In diesem 1968 für 1600 Mark erworbenen Anwesen, das erst 1986 ans Stromnetz angeschlossen wurde, schrieb er bis zuletzt. Das jetzt gezeigte Typoskript „Die neue Melusine“, ein Märchen nach Fouqué, lag bei de Bruyns Tod am 4. Oktober 2020 noch mit Korrekturvermerken versehen auf dem Schreibtisch. Es erschien jetzt zu seinem 95. Geburtstag.
Die Ausstellung spiegelt hundert Jahre deutscher Geschichte. Geboren im Berlin der Weimarer Republik, diente de Bruyn als Luftwaffenhelfer im Nationalsozialismus, wurde Neulehrer in der Sowjetischen Besatzungszone und Bibliothekar in der DDR, schließlich Schriftsteller, der vom PEN-Zentrum Ost 1991 in das der Bundesrepublik gelangte. Zu sehen ist der Weg von der ersten burlesken Erzählung „Hochzeit in Weltzow“, die bereits einen Schriftwechsel des Dorfschullehrers mit der Zensur hervorrief und hier mit umfangreichen Änderungen für eine zweite Auflage gezeigt wird, bis zum letzten Manuskript. Berlin mit den wunderbaren späten Büchern „Unter den Linden. Geschichten um eine Straße“ (2001) oder „Als Poesie gut. Schicksale aus dem Kulturleben Berlins“ (2006) bleibt dabei ausgespart, da der Fokus auf der Mark Brandenburg liegen soll.
Statt eine chronologische Folge einzelner Publikationen bietet die Ausstellung höchst aufschlussreiche Werkgenesen. Ob für die Erzählung „Märkische Forschungen“, das literarische Porträt über Jean Paul oder die verschiedenen Auswahlausgaben: Immer gehen bei de Bruyn umfangreich dokumentierte Ortsbegehungen mit historischen Recherchen und persönlichen Bezügen Hand in Hand. Die Erkundungsfahrten sind in Fotoalben und Tagebuchprotokollen festgehalten, hinzu kommen Dokumente wie Handschriften, Kirchenbücher, Bildwerke oder Befragungen von Hinterbliebenen, Ortsansässigen und Historikern.
So begibt sich de Bruyn beispielsweise am einstigen „Musenhof“ in Nennhausen auf die Spuren des „märkischen Don Quijote“ Fouqué und folgt seinem Ritterroman „Der Zauberring“. Dieser wurde in einem bildlich festgehaltenen höfischen Laienspiel zum Besuch der Zarin Alexandra Feodorowna inszeniert, was de Bruyn dann in seinen Texten weiterverarbeitet. Oder er beschäftigt sich in Friedersdorf mit dem altpreußischen Adligen von der Marwitz, dessen Leben ihn trotz seiner Opposition gegen die Stein-Hardenberg’schen Reformen fasziniert. Unermüdlich ergänzt er anhand des handschriftlichen Nachlasses ältere Auswahleditionen der Marwitz’schen Lebensgeschichte für den eigenen Dichtergarten oder korrespondiert mit der Familie. Diese und weitere Beispiele sind an jeweils einer Stele und darum gruppierten Vitrinen versammelt. Sie illustrieren den Schreibprozess von den Bild- und Handschriftendokumenten, über Exzerpte, Zettelkästen und Entwürfe bis zum fertigen Buch, das man schließlich selbst in die Hand nehmen darf.
Der Eindruck eines emsigen Heimatdichters wäre dennoch falsch. Günter de Bruyn war ein ungeheuer kundiger Literat, der charmant zwischen Finden und Erfinden ein eigenständiges Genre begründete. Damit verband er so unterschiedliche Rollen wie Chronist, Wiederentdecker, Literarhistoriker und Erzähler miteinander und brachte die Mark Brandenburg als eigenständige Literaturlandschaft erst richtig zur Geltung. Auch dafür wurde er mit Preisen überschüttet, die er in seiner vornehmen Bescheidenheit zu nehmen wusste. Die Ehrenbürgerurkunde Oder-Spree hängte er sich stolz an die Wand, weil ihm seine Rückzugsgemeinde wichtig war, das Große Bundesverdienstkreuz hingegen legte er in eine Kiste. Die Ausstellung zeigt jetzt einen großen Schriftsteller, der diese Würdigung ebenso verdient wie die von ihm bewahrten märkischen Dichter.
„Günter de Bruyn, Märkische Schreibwelten“. Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Potsdam; bis 9. Januar. Das Begleitbuch (Quintus-Verlag) kostet 28 Euro.