„Automatische Literaturkritik“ : Der ehrlichere Bachmann-Preis, derselbe Gewinner
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Freude auch über diesen Preis: Tilman Rammstedt mit den Initiatoren Sascha Lobo (l.), Kathrin Passig und Aleks Scholz Bild: Angela Leinen
Der Bachmann-Wettbewerb hat mit Tilman Rammstedt erstmals einen Dreifachgewinner. Das liegt an dem Preis „Automatische Literaturkritik“, der in Klagenfurt an aller Offizialität vorbei vergeben wurde. Nach festen Regeln, die wir dokumentieren.
Der Bachmann-Wettbewerb hat mit Tilman Rammstedt erstmals einen Dreifachgewinner. Das liegt daran, dass die Berliner „Zentrale Intelligenz Agentur“ in Klagenfurt an aller Offizialität vorbei einen eigenen Riesenmaschine-Preis „Automatische Literaturkritik“ vergab. Dotiert ist der zwar nur mit fünfhundert Euro, aber doch die transparenteste und - Rammstedt angemessen - hintersinnig lustigste Auszeichnung. Denn während Majestät Publikum immerhin einfach wählt, was es zum Lachen gebracht hat, sind die Kriterien der Sessel-Jury, gelinde gesagt, opak.
Beim automatischen Preis dagegen gab es feste Regeln, die wir hier dokumentieren. Es existieren schon Verbesserungsvorschläge für den Bachmann-Wettbewerb 2009, etwa der neue Minuspunkt: Juror ist „in diesen Text verliebt“.
Mit „LA“ sind Kriterien gekennzeichnet, die als Lastenausgleich gewertet werden. Kursiv sind die Punkte kenntlich gemacht, die an Tilman Rammstedt vergeben wurden, der so den Wert +5 erreichte, der schlechteste Wert war -6 für Anette Selg: Auch hier eine erstaunliche Nähe zur offiziellen Juryentscheidung.
PLUSPUNKTE:
Autorenporträt und Textform
01 LA: Autor diente nicht in der NVA
02 LA: Autor ist kein junges Mädchen
03 LA: Autor hat am Leipziger Literatur-institut studiert
04 Schnörkelloser Lebenslauf ohne Preise, ohne Aufenthalte, ohne Hobbys („Schreiben“, „Breakdance“, „Leichenwaschen“)“
Preise, Aufenthalte, Hobbys
05 Gute Typo
06 Autor ist Träger interessanter Preise
07 Keine „open mike“-Teilnahme / im Lebenslauf verschwiegen
08 Autor ist größenwahnsinnig / erklärt sich im Interview vorab zum Sieger
09 Autos nehmen eine wichtige, positive Rolle im Autorenporträt ein
10 Autor hat einen Beruf außer Autor erlernt (1 Punkt) oder übt einen solchen Beruf aus (1 Punkt) oder beides (2 Punkte)
11 Autorenporträt zeigt Autor beim Bedienen elektronischer Geräte, die nicht älter als fünf Jahre sind
Inhalt
12 Supermarktkassenkompatible Reizwörter im Titel (je 1 Punkt)
13 Fahrräder sind Fahrräder und keine Metaphern
14 Schlampig recherchiert in unwichtigen Dingen (1 Pluspunkt je Fehler)
15 Protagonisten sehen fern
16 Bedeutungsschwere wird anders als durch Vergewaltigung, Missbrauch, Selbstmord oder Inzest erzeugt
17 Hildegunst von Mythenmetzsche Ereignisandrohung
18 Handlungs-Radius >1 km
19 Unzuverlässiger Erzähler
20 Auktorialer Erzähler
21 Philanthropischer Erzähler
22 Linearer Plot
23 Science Fiction
24 Beleidigungen anderer Autoren
25 Träume, die nichts bedeuten
26 wohlwollende Besprechung von Nahrungsmitteln (2 Punkte bei Fleisch) oder Essvorgang
27 Autor kopiert schamlos bekannte Erfolgsmodelle
28 Mord und Totschlag (Bodycount = Pluspunkte)
29 Offizierskasinobildung
30 Alles mit Krieg (Ausnahme: WK II) oder Leistungssport
31 Alison-Bechdel-Regel: 1. Zwei oder mehr Frauen, die 2. miteinander reden, und zwar 3. nicht über einen Mann
32 Vorkommen von feuchten Frotteetüchern oder miefigen Sporttaschen
33 Flugszenen von Mensch und Tier; cave: „ich bin so glücklich, ich könnte davonfliegen“, bzw. Flugangstbeschreibung (sonst minus 1)
34 Unaufdringliche sachdienliche Hinweise betreffend Gärtnerei, Autoreparatur etc. (nicht als Metapher, sonst minus eins)
35 Mindestens einseitig, besser beidseitig unhöfliche Dialoge
36 plastische Chirurgie
37 Vorkommen von Nagetieren
38 Konsistente Psychologie bzw. überhaupt erst mal Hinstellung einer ordentlichen Psyche
39 Keine Paarbeziehungsthematik
40 Keine Eltern-Kind-Beziehungsthematik
41 Natur findet nicht statt
42 Wörter mit null Googletreffern