Amazon-Boykott : Der Feind in meinen Büchern
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Damit fängt es an: Bestell-Button bei Amazon.de Bild: Amazon.de
Überall kämpfen die Schriftsteller gegen die Markt- und Manipulationsmacht von Amazon. Was ist aber mit uns Lesern: Sollen auch wir diese Firma boykottieren? Elf Fragen und Antworten zum Thema.
Warum soll ich nicht bei Amazon kaufen?
Weil Amazon seine Mitarbeiter wie Roboter behandelt. Weil Amazon so mächtig ist, dass es den Buchhandel komplett umkrempelt und den Verlagen harte Konditionen diktieren kann. Weil Amazon seine Kunden ausschnüffelt. Weil Amazon nicht nur weiß, was wir gerne lesen, sondern weil deshalb auch die Gefahr besteht, dass es Bücher, die wir nicht so gerne lesen, in Zukunft noch schwerer haben werden.
Warum tu ich’s trotzdem?
Am Preis liegt’s nicht, schließlich kosten Bücher überall das Gleiche. Nur bei englischsprachigen E-Books ist die Kindle-Ausgabe oft günstiger als die E-Pub-Version anderer Anbieter. Aber Kaufentscheidungen sind eben auch nicht in erster Linie moralisch motiviert, sondern durch andere Bedürfnisse. Und die befriedigt Amazon sensationell. Es gibt dort fast alles und fast alles sofort - und zwar zu Preisen, die nur selten über denen der Konkurrenz liegen. Was auch daran liegt, dass ein Teil der Konkurrenz seine Waren längst auf dem „Amazon Marketplace“ verkauft.
Das Sortiment von Amazon ist phantastisch, nicht nur das an Büchern (die in den Vereinigten Staaten nur noch geschätzte sieben Prozent des Umsatzes ausmachen). Man kann bei Amazon längst Bohrmaschinen, Spülmittel, Schuhe bestellen. Oder auch einen Satz „Hand- und Fußgelenkfessel 4-teilig, soft gepolstert, mit Klettverschlüssen individuell verstellbar“, für sensationelle 14,32 Euro. Die eigentliche Stärke von Amazon ist aber die Logistik. „Fulfillment Center“ nennt Amazon seine Wunscherfüllungszentren. In Amerika liefern sie sogar frische Lebensmittel aus - und längst plant die Firma, Dinge zu verschicken, bevor sie überhaupt bestellt worden sind. Auch Expresslieferungen mit Drohnen sind in Planung.
Insofern ist es paradox, dass Amazons Erfolgsgeschichte ausgerechnet mit Büchern begann, mit einem Produkt also, das zumindest in Deutschland schon über ein hervorragendes Vertriebssystem verfügte. Genau das ist aber auch die Chance für den Buchhandel: Als One-Click-Warenhaus, das alle Wünsche erfüllen kann, ist Amazon konkurrenzlos. Aber Bücher verkaufen, das könnten andere im Prinzip genauso gut.
Welche Alternativen gibt es denn?
Amazons Lieferservice ist mittlerweile nicht mehr ganz so konkurrenzlos. Die meisten Onlineportale, auch die großen deutschen Buchhändler wie Thalia und Hugendubel, versenden ihre Waren jetzt kostenlos. Die süddeutsche Buchhandelskette Osiander liefert Onlinebestellungen innerhalb eines Tages per Fahrradkurier aus: CO2-neutral und portofrei. Wer den Internetriesen aufgrund moralischer Bedenken meiden möchte, kann seine Bücher zum gleichen Preis bei Buch7.de, Ecobookstore.de oder Fairbuch.de bestellen und leistet damit einen Beitrag für die Umwelt und für faire Arbeitsbedingungen.
Der Nachteil ist: Das Sortiment an Backlist- und fremdsprachigen Titeln ist bei weitem nicht so groß. Gleiches gilt im E-Book-Segment. Hier gibt es zwar Portale wie Buecher.de und Ebook.de - keines kommt aber an Amazons Kindle-Shop mit seinen 2,5 Millionen Titeln heran. Dafür gehen die deutschen Anbieter diskreter mit ihren Kundendaten um und bieten ihre E-Books im kompatiblen E-Pub-Format an, während Kindle-E-Books nur auf Kindle-Geräten lesbar sind. Nur wer zum Thriller auch noch einen Toaster dazubestellen möchte, landet am Ende doch wieder bei Amazon.
Wer kämpft im Moment eigentlich gegen wen?
Angefangen hat es so: der Verlag Hachette gegen Amazon. Jetzt streiten auch Schriftsteller, Leser und Zeitungen mit - zumeist gegen Amazon. Bereits im Mai machte Hachette, der viertgrößte Verlagskonzern der Vereinigten Staaten, öffentlich, dass Amazon die Lieferung gedruckter Hachette-Titel teilweise um mehrere Wochen verzögerte, nachdem sich die Parteien nicht über den Verkauf von E-Books einig geworden waren.
Anfang August erschien eine ganzseitige Anzeige in der „New York Times“, in der 900 Autoren, darunter Stephen King und Donna Tartt, Amazon vorwarfen, Autoren und deren Bücher als Druckmittel für Rabatte zu nutzen. Inzwischen hat Amazon auch kritische Post aus dem deutschsprachigen Raum erhalten: Mehr als tausend Autoren haben eine an Firmenchef Jeff Bezos adressierte Beschwerde unterzeichnet; darin bezichtigen sie den Konzern, auch im Konflikt mit der Verlagsgruppe Bonnier unbeteiligte Autoren „in Beugehaft“ zu nehmen.
Amazon habe, nach ähnlichen Streitigkeiten wie mit Hachette, die automatische Nachbestellung von Bonnier-Titeln (aus Verlagen wie Piper oder Ullstein) nicht nur eingestellt. Amazon habe diese Bücher auch aus den „Kunden haben auch gekauft“-Listen genommen (welche also offenbar doch nicht ausschließlich von Zauberalgorithmen erstellt werden). So steht es in dem Brief, den, nur zum Beispiel, Elfriede Jelinek und Eva Menasse, Uwe Timm und Ferdinand von Schirach, Juli Zeh und Friedrich Ani (und, naturgemäß, auch Klaus Staeck) unterzeichnet haben. Und die Kulturstaatsministerin hat ausdrücklich zugestimmt. Die deutschen Autoren rufen die Leser dazu auf, Bezos ihre Meinung über die „jüngsten Erpressungsmethoden“ per E-Mail persönlich mitzuteilen. Die Leute von Hachette sagen, Amazons Bedingungen zu akzeptieren sei Selbstmord. Amazon fordert den Verlag auf, er möge „aufhören, Autoren als menschliche Schutzschilde zu benutzen“.
Worum geht’s wirklich?
Auch, aber nicht nur um fünf Dollar. Amazon findet E-Book-Preise von „14,99 oder sogar 19,99“ Dollar zu hoch, Hachette hingegen sieht im Amazon-Wunschpreis von 9,99 Dollar eine Entwertung des Autors, des Verlegers und des Buches. Es geht aber, vor allem für den Buchhandel, natürlich auch um alles: um das Verlagswesen der Zukunft und Amazons Rolle darin. Der Buchmarkt mag für Amazon längst kein Kerngeschäft mehr sein, er ist aber die Branche, in der Jeff Bezos eines seiner wichtigsten Prinzipien ausleben kann - das Ausschalten der „Gatekeeper“: Verlage, Agenten, Zwischenhändler, selbst Literaturkritiker gehören seiner Ansicht nach zum elitären Ancien Regime, welches Innovationen ausbremst und unnötig am Handel mitverdient.
Der Kindle ist das Instrument, auf dem sich ein Direktvertrieb perfekt organisieren lässt; er soll nicht nur Papierbücher überflüssig machen, sondern auch das ganze Geschäftsmodell, das daran hängt. Die neue Ordnung, in welcher es nur noch Amazon auf der einen und die Autoren auf der anderen Seite geben soll, hält Bezos für unvermeidlich: „Nicht Amazon passiert dem Buchhandel“, entgegnet er lamentierenden Verlegern, „die Zukunft passiert dem Buchhandel.“ Die Pointe, auf die diese Logik hinauslaufen würde, ist allerdings, dass auch ein Händler wie Amazon in dieser Zukunft irgendwann überflüssig ist.
Trotzdem: Sind Verlage nicht bald überflüssig?
Ja - für zurückgewiesene Autoren, die glauben, dass sie sich alleine besser in der freien Marktwirtschaft durchsetzen können. Klar: Penguin Random House, Hachette oder Disney sind auch keine Wohltätigkeitsvereine. Aber die meisten Verlage bestehen nicht nur aus ignoranten Lektoren, die unterschätzte Manuskripte ablehnen. Manchmal gibt es dort auch Menschen, die Bücher selbst dann veröffentlichen, wenn diese kaum kommerzielle Chancen haben. Es gibt Verleger, die Geduld haben, Lektoren, die Bücher besser machen, und es gibt sogar Honorare, die sich nicht nur aus Verkaufserlösen speisen.
Sind die Rabatte, die Amazon fordert, so ungewöhnlich?
Nein. Im traditionellen Buchhandel gewähren die Verlage den Händlern Rabatte zwischen 30 und 50 Prozent; vor allem große Ketten wie Thalia oder Hugendubel fordern hohe Nachlässe. Und Freiexemplare. Und Werbekostenzuschüsse. Gehen die Verlage nicht auf die Forderungen der Händler ein, droht ihnen auch im echten Laden die sogenannte Auslistung - ihre Bücher sind dann nicht mehr in den Filialen präsent.
Auch Amazon verlangt Rabatte an der Obergrenze und Sonderkonditionen, verschont die Verlage aber dafür mit massenhaften Remissionen. Der klassische Buchhandel schickt rund 50 Prozent nichtverkaufter Bücher an die Verlage zurück; bei Amazon liegt die Quote angeblich bei 0,5 Prozent. Wenn Amazon nun auch bei E-Books Rabatte in der Größenordnung gedruckter Bücher verlangt, erscheint das nur folgerichtig. Derzeit besteht tatsächlich die absurde Situation, dass die Händler für die billigeren, aber weniger rabattierten E-Books mehr zahlen müssen als für gedruckte Bücher.
Profitieren nicht die Kunden von den Rabatten?
In Deutschland nicht, die Bücher, auch E-Books, sind ja preisgebunden. Es geht nur darum, wie die Gewinnspannen zwischen Autoren, Verlagen, Zwischenhändlern und Händlern aufgeteilt werden. Im Zweifelsfall werden höhere Rabatte in den Verkaufspreis einkalkuliert und verteuern am Ende die Bücher eher.
Was darf ein E-Book kosten?
Laut Amazon nicht mehr als 9,99 Dollar. Bereits seit einigen Jahren verbreitet der Konzern sein Lieblingsargument, der Preis eines E-Books müsse grob mit dessen Produktionskosten übereinstimmen. Da bei der Herstellung von digitalen Büchern weder Druck- noch Versand- oder Lagerungskosten entstünden, zudem keine Verluste durch Rücksendungen, solle dies sich auch im vom Kunden zu zahlenden Preis niederschlagen. Die Herstellung digitaler Bücher verursacht aber andere Kosten, beispielsweise für Design-Software und Server zur Speicherung der Inhalte. Während es sich für große Verlagshäuser lohnen mag, in solche Technik zu investieren, müssen kleinere Unternehmen kostspielige externe Anbieter nutzen. Zudem minimiert die höhere Mehrwertsteuer, die momentan auf E-Books anfällt (neunzehn Prozent statt der sieben für gedruckte Bücher) die Erträge, die ein Verlag für E-Books erhält. Außerdem, so behaupten die Verlage, fordern auch die Autoren einen höheren Anteil am Erlös und drohen damit, andernfalls ins Self-Publishing-Programm von Amazon abzuwandern.
Lohnt es sich denn für Autoren, ihre Bücher im Selbstverlag herauszugeben?
Kommt auf die Autoren an. Und auf ihre Bücher. Amazon lockt Autoren damit, sie mit 70 Prozent an den Einnahmen zu beteiligen, wenn sie ihr Buch im „Kindle Direct Publishing“-Programm (KDP) veröffentlichen. Im E-Book-Bereich sind solche Selbstverleger keine Exoten mehr: In den deutschen Kindle-Charts stammt schon heute mehr als die Hälfte der Top 100 von Self-Publishern, vor allem Science-Fiction, Romanzen, gerne mit Obst im Titel („Himbeermond“, „Aprikosenküsse“ „Der Sommer der Blaubeeren“). Was allerdings auch ein Zeichen dafür ist, wie unbedeutend der E-Book-Markt für etablierte Autoren noch ist. E-Books machen derzeit etwa zehn Prozent der Umsätze der deutschen Verlage aus. Was man im KDP-Programm kaum findet, sind anspruchsvolle Romane oder Sachbücher.
Self-Publisher sind vor allem selbständige Unternehmer. Autoren, die von Beteiligungen träumen wie von den „70 Prozent vom Verkaufspreis“, die Amazon verspricht, sollten sich deshalb gründlich überlegen, ob sie auch das unternehmerische Risiko tragen wollen. Am Ende sind 70 Prozent eines schlecht verkauften 1,99-Euro-E-Books auch nur ein Bruchteil des traditionellen Vorschusses. Ein Großteil der literarisch ambitionierteren Autoren profitiert eher von der üblichen Mischkalkulation der Verlage, dank der wenige Bestseller stapelweise preisverdächtige Gedichtbände subventionieren. Und möglicherweise reicht es in Zukunft nicht einmal mehr, Bücher zu verkaufen: Amazons neuestes Geschäftsmodell, eine Flatrate für Bücher („Kindle Unlimited“), honoriert die Autoren erst, wenn mindestens zehn Prozent ihres Textes auch gelesen wurden. Davon können nur Texte profitieren, die auch schon mit einer Rechenmaschine geschrieben werden.
Der Kindle liest also seine Leser. Was bedeutet das für die Bücher?
Amazon speichert sämtliche Daten seiner Kunden, von deren Kaufverhalten über deren Lesegewohnheiten bis hin zu Markierungen und Notizen, die sie auf dem Kindle machen. Manche dieser Daten macht Amazon anonymisiert öffentlich, etwa welche Stellen in einem Buch von den Lesern am meisten markiert wurden. Was Amazon aber genau damit anstellt, ist Geschäftsgeheimnis. Für Amazon wie auch für andere Buchhändler und Verlage sind solche Daten eine Goldgrube, denn sie bieten die Möglichkeit, das Leseverhalten der Kunden genau zu analysieren. Das könnte eine Revolution auf dem Buchmarkt bedeuten. Denn Erkenntnisse darüber, ob ein Buch überhaupt zu Ende gelesen wird, welche Textpassagen nur überflogen und welche intensiv gelesen werden, helfen natürlich, den Inhalt und Stil von Büchern zukünftig noch genauer auf den Geschmack der Leser abzustimmen.
Gut möglich, dass bei Buchverlagen bald Verhältnisse wie im Filmgeschäft herrschen, wo eine neue Idee erst komplizierte Zielgruppentests durchlaufen muss, bis sie finanziert und verwirklicht wird. Zum Glück sind die Produktionskosten der Bücher niedriger als die von Hollywoodfilmen, weshalb der Einwand, unter diesen Umständen wäre weder der „Ulysses“ noch „Zettels Traum“ je geschrieben worden, vermutlich grundverkehrt ist. Amazon würde die potentiellen James-Joyce-Leser sogar schneller finden. Denn genau darum geht es ja, genau das ist das Beunruhigende: Wenn nicht nur wir im Kindle lesen, sondern der Kindle uns liest, weiß Amazon von uns Dinge, die wir womöglich selbst nicht wissen.
Welche Bücher der Kunde sucht und kauft, verrät sehr viel über seine Interessen, politische Einstellungen, sexuelle Orientierung, Gesundheit oder Familienstand. Wie oft und wie schnell ein Leser liest und wann er die Lektüre unterbricht, das verrät alles über seinen Lebensrhythmus, seine Bildung, seine Aufmerksamkeit. Und wer glaubt, dass Amazon diese Daten nur dazu nutzt, die potentiellen Arno-Schmidt-Leser ausfindig zu machen: der sollte nur noch Märchenbücher bestellen beim Online-Versand seines Vertrauens.