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Andrew Wylie über Amazon : Seit wann sind Spediteure gute Verleger?

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Andrew Wylie: „Kein bekannter Autor wird sich jemals darauf einlassen, von Amazon verlegt zu werden.“ Bild: ddp images/McMullan/Sipa USA

Amazon will nun auch Verleger werden. Ein alter Hase der Literaturbranche empfiehlt Widerstand mit allen Mitteln: Wenn Sie die Wahl haben zwischen Amazon und der Pest, wählen Sie die Pest!

          6 Min.

          Herr Wylie, Amazon will auch in Deutschland Bücher verlegen. Müssen die deutschen Buchverlage diesen neuen Wettbewerber fürchten?

          Nein. Wenn Amazon in Deutschland genauso vorgeht wie in den Vereinigten Staaten, werden sie fast alles nehmen, was nicht verlegt zu werden verdient - und das wird ihr Verlagsprogramm sein. Sie betreiben die belangloseste Verlagspolitik, die man sich vorstellen kann. Kein auch nur einigermaßen bekannter Autor wird sich darauf einlassen, von Amazon verlegt zu werden, denn Buchhandlungen werden diese Bücher nicht führen. Amazon interessiert sich nicht für Gedrucktes, nur für Digitales. Ein solches Verlagskonzept ist eine Sackgasse.

          Bei „Amazon Publishing“ gibt es einen Unterverlag für literarische Neuerscheinungen mit dem Namen „little a“. Dort erschien immerhin der jüngste Roman von A.L. Kennedy, „The Blue Book“.

          Ihr Name ist der einzige, den man kennt. Sie war schlecht beraten, sich darauf einzulassen, und es dürfte ihrer Karriere geschadet haben.

          Das Buch kam im März 2013 heraus, und in den acht Monaten bis November wurden 8100 Stück verkauft.

          Wer hat das gesagt? Amazon?

          Ja.

          Dann wissen Sie ja, dass es nicht stimmen kann.

          Die Firma Nielsen, die die Daten für die Bestsellerlisten erhebt, verzeichnete im gleichen Zeitraum 830 Verkäufe in Buchhandlungen.

          Diese Zahl klingt realistischer.

          Als Amazon 2011 Larry Kirshbaum anheuerte, den früheren Chef der Time-Warner-Verlage, verlautete aus Seattle, man wolle den Großverlagskonzernen in deren Kerngeschäft der seriösen Literatur Konkurrenz machen. Kirshbaum schied schon Ende letzten Jahres wieder aus, aber Amazon versicherte, an dieser Absicht habe sich nichts geändert.

          Ich glaube nicht daran, dass sie in irgendeinem Sinne beabsichtigen, auf dem Feld der Buchproduktion konkurrenzfähig zu werden. Ihr Verlagsprogramm, das sich durch seine Idiotie auszeichnet, ist nur dafür da, der Welt weiszumachen, sie nähmen das Verlagsgeschäft ernst. Nicht einmal MacKenzie Bezos, die Frau von Jeff Bezos, publiziert bei Amazon. Sie brachte ihren Roman „Traps“ zu Knopf. Niemand, dem es ernst mit der eigenen literarischen Arbeit ist, würde sich von Amazon verlegen lassen, und Jeff Bezos ist intelligent genug, das zu wissen.

          Andrew Wylie: „Wenn Jeff Bezos sagt: Der Himmel ist blau, dann ziehe ich meinen Regenmantel über und nehme den Regenschirm mit.“
          Andrew Wylie: „Wenn Jeff Bezos sagt: Der Himmel ist blau, dann ziehe ich meinen Regenmantel über und nehme den Regenschirm mit.“ : Bild: REUTERS

          Welchen Sinn hat die Scharade? Will man Autoren anlocken, die anderswo nicht unterkommen?

          Man will das Justizministerium in Washington, das zu einer Tochtergesellschaft von Amazon geworden ist, davon abhalten, sich die Geschäfte des Unternehmens unter dem Gesichtspunkt des Kartellrechts anzusehen.

          Das müssen Sie erklären.

          Amazon hat das Justizministerium mit Erfolg dazu überredet, gegen die großen Verlagshäuser in New York eine vollkommen unbegründete Klage zu erheben - mit dem Vorwurf, sie wollten durch gemeinschaftliche Absprachen mit Apple, dem Hersteller des iPad, die Preise für E-Books fixieren. Die Klageschrift war Punkt für Punkt von Amazon diktiert. Mit diesem eigensüchtigen Verhalten konnte Amazon nur durchkommen, indem die Firma die Attrappe eines Verlagsprogramms auf die Beine stellte. So kann sie sich als Mitbewerber der Buchverlage ausgeben und vertuschen, was sie wirklich ist: ein Vertriebsunternehmen, das es auf ein Monopol abgesehen hat.

          Was bedeutet Larry Kirshbaums Abgang?

          Nichts.

          Hat er nicht die Chance bekommen, das zu tun, wofür er angestellt wurde?

          Er hat dort nie irgendetwas getan. Darum hat man auch keinen Nachfolger für ihn engagiert. Sie wollen eben gar nichts tun. Wenn sie etwas tun wollten, dann täten sie es. Aber sie wollen es nicht. Das Verlagsprogramm existiert nur, um sie vor Klagen zu schützen. Daphne Durham, die Managerin in Seattle, die Kirshbaums Zuständigkeiten übernommen hat, sagt: „Unser Geschäftsmodell ist auf Vertriebswege jenseits von Amazon nicht angewiesen.“ Das ist gut und schön. Aber kein Schriftsteller, der bei Sinnen ist, wird glauben, dass Amazon es ehrlich meint, wenn man verkündet, man strebe einen Platz unter den großen Verlagen an. Das ist eindeutig nicht der Fall.

          Hat Ihre Agentur je ein Buch an Amazon verkauft?

          Ein einziges Mal, für einen einzigen Klienten: ein schmales Buch, das als E-Book in der Reihe „Kindle Singles“ erschien. Gegen meinen Protest.

          Warum schien die Publikation bei Amazon Ihrem Klienten attraktiv?

          Weil er mir nicht zugehört hat.

          Werden die Buchhandlungen bei ihrem Boykott der Eigenprodukte von Amazon bleiben?

          Das sollten sie unbedingt tun.

          Können sie den Boykott durchhalten?

          Natürlich. Nichts, was Amazon publiziert, lohnt die Lektüre. Es ist also nicht schwer, es zu ignorieren. Wenn Amazon Bücher druckt, ist das nichts weiter als ein Abholzungsprogramm.

          Im Jahre 2010 haben Sie selbst sich mit Amazon verbündet, als sie „Odyssey Editions“ gründeten, einen Verlag für E-Books von Klassikern der Moderne, die Sie zunächst exklusiv über Amazon vertrieben. Sie wollten die Verlage bewegen, höhere Tantiemen für die digitale Zweitverwertung zu zahlen. Waren Sie erfolgreich?

          Was wir getan haben, haben wir zu einer bestimmten Zeit getan, um bestimmte Ziele zu erreichen, die wir dann wirklich erreicht haben. Ich bin der Ansicht, dass die Honorare für digitale Verbreitung weiter steigen müssen. Sie werden weiter steigen.

          Es gibt bei Amazon ein Marketingangebot, das sich an Agenten wendet: das „White Gloves Program“. Die genauen Konditionen werden geheim gehalten. Bücher von Autoren, die bei anderen Verlagen kein Glück hatten, werden auf der Amazon-Seite besonders beworben, wenn die Autoren von Agenten vertreten werden, die für das Lektorat sorgen. Kennen Sie Kollegen, die sich an diesem Programm beteiligen?

          Ich habe von den „Weißen Handschuhen“ gehört. Aber was ist das denn schon für ein Name? Er klingt nach dem Treueprämienprogramm eines drittklassigen Hotels in Cincinnati. Das ist alles nichts. Nichts, das jemanden interessieren könnte, der des Denkens mächtig ist.

          Ist Amazon also noch nicht einmal für einen Anfänger interessant, der einen Fuß in die Tür zur Verlagswelt bekommen möchte?

          Sie würden einem jungen Schriftsteller wohl nicht empfehlen, sich am Wettbewerb um den „Amazon Breakthrough Novel Award“ zu beteiligen, der in diesem Jahr zum siebten Mal vergeben wird? Nein, ich würde ihm empfehlen, in Manhattan oder in München auf eine Seifenkiste zu steigen und aus seinem Roman vorzulesen. So erreicht er ein besseres Publikum als via Amazon.

          Die deutschen Verleger, die auf der Leipziger Buchmesse befragt wurden, äußerten sich gelassen. Gleichwohl scheint das Branchengespräch über Amazon von einer unterschwelligen Panik bestimmt. Woher kommt diese Stimmung?

          Die Verhandlungsstrategien von Amazon sind brutal. Sie agieren als Monopolist und haben es darauf angelegt, den Handel mit gedruckten Büchern zu zerstören. Man muss ihnen mit allen Mitteln Widerstand leisten.

          Was raten Sie den Verlagen?

          Mein Rat lautet: Wenn Sie die Wahl haben zwischen der Pest und Amazon, wählen Sie die Pest!

          Die Verleger auf der Leipziger Buchmesse zeigen sich gelassen. Andrew Wylie rät: „Man muss Amazon mit allen Mitteln Widerstand leisten.“
          Die Verleger auf der Leipziger Buchmesse zeigen sich gelassen. Andrew Wylie rät: „Man muss Amazon mit allen Mitteln Widerstand leisten.“ : Bild: dpa

          Welche Gegenmittel könnten die Verlage denn ergreifen?

          Sie sollten den Vertrieb ihrer Bücher selbst übernehmen. Feltrinelli in Italien unterhält eigene Buchhandlungen und hat damit gute Erfahrungen gemacht.

          Wenn die ganz großen Verlage Ihrem Rat folgen würden, bestünde dann nicht die Gefahr, dass sie genauso wie Amazon operieren würden?

          Nein. Ich glaube, dass die großen Verlage genau wissen, wie wichtig die Existenz unabhängiger Buchhandlungen für die Buchkultur ist. Sie hätten allen Grund, diesen Buchhandlungen günstige Konditionen zu gewähren.

          Amazon errechnet aus den Daten über das Buchkaufverhalten von Amazon-Kunden, welche weiteren Bücher sie wahrscheinlich kaufen werden. Das soll nicht nur für Bücher funktionieren, die schon auf dem Markt sind, sondern auch für ungeschriebene. Sie handeln mit Buchprojektideen. Ist aus Ihrer Sicht dieser Glaube an die prognostische Kraft von Algorithmen naiv?

          Es handelt sich um wertvolle Informationen. Aber Amazon ist nun einmal eine Firma, die mit Kultur nichts anfangen kann. Es wäre großartig, wenn die Verlage die Daten hätten, die Amazon hat. Genau darum sollten sie ihre Bücher selbst an den Mann bringen: um mehr darüber herauszufinden, mit wem sie es zu tun haben. Sie haben dieses Wissen immer dem Handel überlassen. Seit dreißig Jahren bin ich im Buchgeschäft tätig, und es ist immer dieselbe Geschichte: Die Verleger müssen nach der Pfeife der Händler tanzen. Früher bestimmten die Buchhandelsketten wie Barnes & Noble, heute bestimmt Amazon.

          Sind die Manager bei Amazon in Seattle ein anderer Menschenschlag als ihre Kollegen in den Konzernzentralen der Buchverlage in New York?

          Bemerken Sie einen Unterschied zwischen einer literarischen und einer technischen Sozialisation? Amazon ist nichts weiter als eine Spedition, eine digitale Lastwagenfirma. Ich möchte mich nicht mein Leben lang mit Leuten unterhalten, die Lastwagen fahren. Das sind keine interessanten Leute, ihr Konzept ist uninteressant, pure Zeitverschwendung. Man hat sie zu wichtig genommen.

          Amazon wurde vor zwanzig Jahren gegründet und macht immer noch keinen Gewinn. Strebt Jeff Bezos nach einer anderen Art von Gratifikation? Ist seine gesamte Geschäftstätigkeit womöglich eine Spielart des „vanity publishing“?

          Er ist einer der reichsten Männer der Welt, hat also ganz gut für sich gesorgt. Bücher sind für ihn weniger wichtig als Kühlschränke.

          Bezos ist der neue Eigentümer der „Washington Post“. Den Redakteuren sagte er, er habe das Blatt gekauft, weil er so gerne Zeitung lese. Glauben Sie ihm?

          Wenn Jeff Bezos sagt: Der Himmel ist blau, dann ziehe ich meinen Regenmantel über und nehme den Regenschirm mit, wenn ich vor die Tür gehe. Denn draußen regnet es in Strömen.

          Hat Jeff Bezos das Zeug zur literarischen Figur? Wer von Ihren Autoren könnte sich „The Great Amazonian Novel“ zu schreiben vornehmen?

          Ebenso gut könnte man einen Roman über die Familie Walton schreiben, die Eigentümer der Supermarktkette Walmart. Langweiliger geht es nicht.

          Andrew Wylie gründete 1980 seine eigene Literaturagentur in New York. Zu seinen frühen großen Aquisitionen zählte Salman Rushdie. Er vertritt heute über 600 Autoren und wird in der Brahnche „Der Schakal“ genannt.

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