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Ali Mitgutsch zum Siebzigsten : Das Wunderbare, auf das wir immer warten

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Irgendwas ist immer: Detail aus einem Buch Mitgutschs

Irgendwas ist immer: Detail aus einem Buch Mitgutschs Bild: Ravensburger Buchverlag

Lauter kleine Mißgeschicke und Mini-Unfälle, viele lustige Versagensmomente und nur wenige Seiten ohne ein Kämpfchen: Ali Mitgutsch ist der Meister der Burleske für Kleinkinder. An diesem Sonntag wird der Kinderbuchautor siebzig Jahre alt.

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          Sein wunderschöner Vierseitnerhof zwischen Altötting und Landshut ist derzeit im Internet bei Ebay zu bewundern. Ali Mitgutsch will ihn verkaufen. Eine Lageskizze der Gebäude hat der Bilderbuchmaler eigenhändig gezeichnet und ins Netz gestellt - unwillkürlich sucht man die Zeichnung nach kleinen Wimmelwesen und den gewohnten Mini-Szenen ab. Vergebens. Ali Mitgutsch kehrt dem Landleben den Rücken, zumindest dem anstrengenden Teil davon. Und uns hat er anderswo davon erzählt. Wieder und wieder. Weil wir das so wollten. Oder unsere Kinder.

          Wenn jemand bei nahezu allen Westdeutschen, die um die Vierzig sind, und bei noch mehr Jüngeren ein kollektives Bild vom typischen Leben auf dem Lande geprägt hat, dann war das Ali Mitgutsch. "Bei uns im Dorf" erschien zum ersten Mal 1970. Schon damals hat wohl das echte Dorfleben etwas anders ausgesehen als auf Mitgutschs belebten Doppelseiten, die ohne Text auskommen, aber um so mehr Geschichten erzählen. "Bubi aus der Stadt" steht in Schönschreibschrift neben einem verängstigten Knaben, der zwischen den großen Landmaschinen von einem "Lausbub" gehänselt wird. Der kleine Alfons Mitgutsch hatte damals, als er selbst während des Krieges aus München heraus und aufs Dorf gebracht wurde, keinen blonden Mittelscheitel wie dieser "Bubi", aber gehänselt wurde er genauso - zum Beispiel gab man ihm wegen seiner dunklen Locken den Namen Ali. Ihm blieb die Flucht in die Phantasie, und schon mit fünfzehn ging er auf weite Reisen. Daß er zum Geschichten-Maler wurde, hat, so sagt er, auch mit seinen Leiden als Außenseiter in der Schule zu tun.

          Der Blick darf spazierengehen

          Daß die Kinder auf seinen Geschichten-Blättern oft alles andere als zimperlich miteinander umgehen, hat aber auch damit zu tun. Ali Mitgutsch ist es geglückt, eine heile Welt vor Kindern auszubreiten, die zugleich auf komische Weise ihr Gegenteil zeigt. Immer wieder fällt etwas oder jemand irgendwo hinunter. Die verschiedenen Flüssigkeiten, die in seinen Büchern verschüttet und vertröpfelt werden, ergeben zusammen bestimmt mindestens zehn Liter. Körperflüssigkeiten sind auch dabei, was vor allem die Amerikaner beim Lizenzkauf zögern ließ. Nur Blut fließt nicht. Lauter kleine Mißgeschicke und Mini-Unfälle, viele lustige Versagensmomente und nur wenige Seiten ohne ein Kämpfchen: Mitgutsch ist der Meister der Burleske für Kleinkinder.

          Ein defekter Traktor, gezeichnet von Mitgutsch.
          Ein defekter Traktor, gezeichnet von Mitgutsch. : Bild: Ravensburger Buchverlag

          Diesen Titel verdient er auch deswegen, weil er keine einzelnen Charaktere zeigt, sondern Typen in typischen Situationen. Sie tummeln sich gleichberechtigt auf den Szenerien, die kaum perspektivisch verkürzt sind. Der Blick wird nicht gelenkt, sondern er darf spazierengehen - Mitgutschs Bilder sind im besten Sinne naive Malerei für Kleine. Daß die Gleichberechtigung nur für die Blattaufteilung gilt, nicht aber emanzipatorisch korrekt ist, haben die Mädchenzählerinnen der achtziger Jahre Mitgutsch sehr übelgenommen. Danach wurden es ein paar Mädchen mehr. Nicht zwanghaft: Im "Großen Piraten-Wimmel-Buch" von 2004 wimmelt es tatsächlich von wilden Burschen - das Seeräuberleben war nun mal hauptsächlich Männersache. Und bis an die Zähne bewaffnet sind sie, auch wenn manche Erwachsene das nicht günstig für die Friedenserziehung finden. Diese derb-fröhlichen Gesellen aber sind der vitalste Ausdruck für Ali Mitgutschs Liebe zur sachlichen Richtigkeit in Verbindung mit sehr viel Spaß und Optimismus.

          Vital, beherzt, mitten ins Leben hinein

          Mitgutsch hat durchaus versucht, das Image des Wimmelbildermalers loszuwerden. Während seine Erzählungen für Kinder nicht recht überzeugen konnten, sind seine Sachbilderbücher über das Rad und über das Schiff Standardwerke geworden.

          Eine Ausstellung im Bilderbuchmuseum auf Burg Wissem in Troisdorf zeigt jetzt Mitgutschs Weg von den Anfängen bis heute. Die Wimmelbilder wirken im postergroßen Originalformat noch üppiger, und man kann verfolgen, wie sich seine Blätter langsam anfüllten: 1961 waren "Strom und Straße" noch so gut wie leer. Als Ali Mitgutsch vor wenigen Jahren eine Bilderbuchpause machte, entstanden feine, sinnreich gefüllte Objektkästchen für Betrachter jedes Alters. Auch sie sind in Troisdorf zu sehen. "Da ist ja das Wunderbare, auf das du immer wartest!" sagt der Vater von Pepe, Mitgutschs erstem Bilderbuchhelden, als der einen Hut mit besonderen Eigenschaften findet. Die halb verrätselten Szenerien hinter Glas, zusammengestellt aus Trödeldingen, Perlen, Schnipseln und kleinen Herrschaften, erzählen viel von dieser Wartehaltung ihres Schöpfers. Seine Wimmelbilder aber reden mehr vom Zupacken: vital, beherzt, mitten ins Leben hinein. An diesem Sonntag wird Ali Mitgutsch siebzig Jahre alt.

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