Poesie aus dem Internet : Googles Werk und Autors Beitrag
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Wenn Internetschnipsel zu Poesie werden Bild: dapd
Der Dichter und seine Suchmaschine: Die amerikanische „Flarf“-Bewegung hat aus einem Scherz eine neue Form der Dichtkunst entwickelt, die Zufallstreffer zur Basis einer eigenen Schöpfung macht.
Wenn Google alles kann, kann Google auch Kunst machen? Und wenn ja, ist diese Kunst dann schön? Oder sieht man ihr an, dass eine Suchmaschine bei der Geburt geholfen hat?
Der größte Textspeicher der Welt zieht Dichter und Programmierer, Philologen und Statistiker gleichermaßen an. Sie meißeln aus dem rohen Textfels, den Google ihnen liefert, ein Gedicht heraus oder betätigen sich poetisch mit den „Google Ad Words“, den kleinen Werbeanzeigen neben der Ergebnisliste. Manche bauen sich Programme, sammeln damit gigantisch große Mengen Text aus Googles Seiten - um die Sprache des Internets statistisch zu untersuchen. Und einige werden danach auch verklagt.
Auf der Suche nach Google-Kunst und ihren Folgen trifft man zunächst auf ein einziges Wort. Es ist ein komisches Wort - Flarf. Heißt nichts, bedeutet nichts, klingt aber irgendwie flauschig. Flarf. In Deutschland ist Flarf gar nicht weiter bekannt, in den Vereinigten Staaten schon. Da gibt es ein ganzes Flarf-Kollektiv, und es dichtet, meistens mit Hilfe von Google. Vor zehn Jahren kam der New Yorker Comiczeichner und Gelegenheitsdichter Gary Sullivan auf die Idee, das hoffentlich schlechteste Gedicht der Welt bei einem Literaturwettbewerb der Seite poetry.com einzureichen. Es hieß „Mm-hmm“.
Er gewann, Flarf war geboren. Von nun an ging es ihm darum, möglichst lustige, politisch inkorrekte, subversive, unflätige, anzügliche - irgendwie jedenfalls unpassende Gedichte zu schreiben. Die Clique seiner Dichterkollegen in New York hielt das für eine zeitgemäße Idee (es war die Bush-Ära) und schloss sich an. Wer von ihnen auf den Namen „Flarf“ kam, weiß Sullivan nicht mehr, aber er definiert es folgendermaßen: „Flarf besitzt die Eigenschaft des Flarfigen.“ Im März 2001 richten sich die Flarfisten eine Mailingliste ein und beginnen, Gedichte hin und her zu schicken, die aus Versatzstücken von Google-Suchergebnissen bestehen.
Das Gedicht als kollektives Werk
„Ich google zwei disparate Suchbegriffe, beispielsweise ,Latex' und ,Michael Jackson'“, sagt Sharon Mesmer, ebenfalls Flarf-Dichterin, studierte Philologin, Anfang vierzig, die hauptberuflich Kreatives Schreiben an der New School in New York unterrichtet. „Dann kopiere ich einige Textstücke aus der Ergebnisliste von Google in ein Word-Dokument und bearbeite sie, arrangiere um, denke mir Sätze aus. Das fertige Gedicht schicke ich an die Flarf-Mailingliste.“
Dort wird es dann von den anderen Dichtern weiterbearbeitet, wieder gegoogelt und so fort. Das Gedicht ist also nie fertig. Insofern hat der Werkbegriff der Flarf-Leute etwas Vorneuzeitliches. Sie sind wie im Mittelalter eher Redakteure und Kopisten denn Autoren, ihre Texte durchlaufen viele verschiedene Stadien. Es existieren gleichwertige Varianten, aber kein Original. Denn man stützt sich ja immer schon auf kopierte Bruchstücke aus Ergebnislisten - und deren Autoren sind sowieso unauffindbar.