Ein Gespräch mit dem Historiker Daniel Koerfer : Macht „Das Amt“ es sich zu einfach?
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Koerfers Großvater Gerhart Feine (rechts) mit Gustav Stresemann, in Berlin 1924 Bild: privat/Julia Zimmermann
Der Historikerbericht „Das Amt“ hat neben viel Zustimmung auch Kritik erfahren. Kann man über das Dritte Reich urteilen, ohne den Lebenshorizont der Handelnden einzubeziehen? Frank Schirrmacher im Gespräch mit dem Historiker Daniel Koerfer, der dem Buch Pauschalisierungen und Ressentiments vorwirft.
Das Buch „Das Amt“, der Bericht der Historikerkommission über die Rolle des Auswärtigen Amts im Dritten Reich, hat viel Zustimmung erfahren. Die Kritik beschränkt sich großenteils auf die Rolle von Marga Henseler und die Präsentation der Reisekostenabrechnung von Franz Rademacher. Die Erwartungen an das Buch sind unterschiedlich: Während die einen durchgängig Neues erwarten, liegt bei anderen der historische Neuigkeitskern des Bandes in der Tatsache, dass dieses bestürzende Resümee eine geschichtspolitische Linie zieht, hinter die man nicht mehr zurückfallen kann. Gleichzeitig vergeht kein Tag, an dem nicht ehemalige und heutige Diplomaten eine Art Gegenexpertise einfordern. Im Untergrund der öffentlichen Debatte findet ein reger Wechsel von Noten und Gerüchten statt, der sich im Kern an dem Satz des Kommissionsmitglieds Eckart Conze festmacht, das Auswärtige Amt sei eine „verbrecherische Organisation“ gewesen.
Doch hinter dieser Auseinandersetzung steckt eine wesentliche Frage. Kann man über das Dritte Reich urteilen, ohne den Lebenshorizont der Handelnden in den Blick zu nehmen? Der Historiker Daniel Koerfer, hervorgetreten durch Studien zu Ludwig Erhard und zum Sport unter dem Hakenkreuz, ist ein profilierter Kenner Nachkriegsdeutschlands und seiner Eliten. Er formuliert hier die erste substantielle Kritik am „Amt“. Wir halten es für geboten, der Debatte weiterhin großen Raum zu geben, damit dieses Werk wirklich das wird, was es zu werden verspricht: ein Anfang.
Frank Schirrmacher: Wir sind seit Wochen im Gespräch über das Buch „Das Amt“. Wie vorauszusehen, scheiden sich die Geister: Kann man über das Auswärtige Amt im Dritten Reich institutionell erzählen, oder benötigen wir zum wirklichen Verständnis der Vorgänge die Geschichte Einzelner? Ist „Das Amt“ ein ungerechtes oder ein gerechtes Buch?
Daniel Koerfer: Es ist ein merkwürdiges Buch. Es bietet uns Ausschnitte, Einblicke in die Tätigkeit einer Behörde. Aber es zeigt uns keine Menschen in ihren psychologischen Verstrickungen. Stattdessen lesen wir Auszüge aus Personalakten, biographische Daten, die unverknüpft und ohne Ausdeutung daherkommen. Dem Buch fehlt eine Tiefendimension. Zugleich ist es nicht - wie Tacitus einst verlangte - „sine ira et studio“ geschrieben, also ohne Zorn und Vorliebe, sondern mit einem hämischen, süffisanten Unterton nahezu allen handelnden und auftretenden Akteuren gegenüber, bis in die neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts hinein.
Was bringt es dem Historiker?
Für die Zeit des Dritten Reichs vertieft es das, was in den Studien von Christopher Browning - der im Grunde aber zeigt, wie man es macht, der sich von dieser Studie doch deutlich und vorteilhaft abhebt -, von Hans-Jürgen Döscher und jüngst auch von Sebastian Weitkamp ausgeleuchtet worden ist: die starke Verstrickung von weiten Teilen des AA in die Durchführung des Völkermordes. Der Lackmustest für das Verhalten im Dritten Reich, für die Geschichte des Dritten Reichs ist im Buch fast ausschließlich diese eine Thematik.
Was fehlt?