Buchmessen-Skizzen : Wirf das Buch
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Mitunter geht der Blick nach oben: die Decke der Messehalle 3.1 auf der Frankfurter Buchmesse 2021 Bild: Marie-Luise Kolb
Ein Tipp für „Tatort“-Locationscouts, eine Verheißung für Neugierige auf das Werk des Nobelpreisträgers, ein Kompliment für die Konferenzraumnamen in Halle 3 und ein Wink für Designer: Eindrücke von der Buchmesse.
In der Ramschzone
Wenn sich zu Hause der Ramsch im Wohnzimmer stapelt, wandert er hinter die verschlossenen Türen der Abstellkammer. Was man nicht sieht – Hobbyphilosophen wissen das –, existiert im Grunde nicht. Auf der Buchmesse hingegen zeigt man die Dinge. Nicht nur Literatur. Auch Nippes. Und Müll. In Halle 4, wo internationale Aussteller untergebracht sind, liegen blaue Abfallbeutel neben einer Tür herum („American Beauty“-hafte Überhöhungen verboten!) – aufgepeppt von Wollmäusen und Spänen unbestimmbarer Art.
Für alle Elendstouristen, die vorbeischauen wollen: Das in schön kaltem Neonlicht ausgeleuchtete Stillleben befindet sich im toten Winkel der Halle, rechts daneben soll die Besucherin (der Singular ist hier entscheidend) Ruhe finden. „Relax“ steht in roten Lettern an der Wand. Davor ein einziger Stuhl, ein einziger Tisch, ein einziger Mülleimer. Vis-à-vis dieser Komfortzone noch ein Lastenaufzug und ein Feuerlöscher. Locationscouts, bitte aufhorchen: Falls ein Drehort fürs nächste lieblose „Tatort“-Finale gesucht wird – Frankfurter Buchmesse, Halle 4, heureka! (span.)
Richtung Sommer
Es ist nicht die erste Buchmesse, bei der vom frisch gekürten Träger des Literaturnobelpreises kein Buch auf Deutsch lieferbar ist; im Vorjahr erst war es im Fall der Lyrikerin Louise Glück ebenso. Aber immerhin teilte während dieser Messe nun der Penguin Verlag mit, das Werk des tansanischen Schriftstellers Abdulrazak Gurnah werde in deutscher Übersetzung künftig bei ihm erscheinen. Um diese Rechte hatte es unmittelbar nach der Verkündigung des vielen zuvor unbekannten Preisträgers ein regelrechtes Gefecht zwischen deutschen Verlagen gegeben.
Die Penguin-Verlegerin Britta Egetemeier sagte der F.A.Z. am Stand ihres Verlags, man bemühe sich auch um die Übersetzungsrechte jener bisher ins Deutsche übersetzten Gurnah-Titel, die verstreut erschienen waren, und wolle sie sukzessive in durchgesehener Form wiederveröffentlichen, den ersten bereits im Dezember. Gurnahs jüngster Roman „Afterlives“ (auf Englisch 2020 erschienen) komme dann „Richtung Sommer 2022“ auf Deutsch. (wiel.)
Galerie des Grauens
Ein Fix-, weil Ruhepunkt der Buchmesse war lange Jahre die Kalendergalerie im Zwischengeschoss der Halle 3: ein unendlicher Schlauch über die volle Breitseite des Komplexes, beidseitig behängt mit Kalendern fürs kommende Jahr, inklusive der aktuellen Gewinner des Kalenderpreises des Deutschen Buchhandels (was es alles gibt). Diesmal ist diese Präsentation ins Erdgeschoss der eigentlichen Halle gewandert, um diese vollzubekommen. Ruhe ist hier zwar weniger, aber ein Blick auf die Kalender lohnt immer.
Meine Empfehlung: „Monatsbeschimpfungen“ von Sarah Schmidt (Texte) und Katharina Greve (Zeichnungen). Da bekommt man zu jedem Ersten eines Monats richtig Dampf über die kommenden vier Wochen abgelassen. Nur die ehemalige Kalendergalerie liegt still und schweiget. Dafür liest man erstmals die Namen der Konferenzräume, zu denen sie Zutritt gewährt: Effekt, Exposé, Extrakt, Komplex, Kompakt. Und auf der anderen Seite: Argument, Apropos, Aspekt, Fragment, Facette, Repertoire, Resultat, Resonanz, Respekt. Dafür noch einmal: Respekt. (apl.)
Wirf das Buch
Buchmessen sind harte Proben für die Neigung zu Büchern. Weshalb es nicht ganz fernliegt, sich zwischendurch an bücherlosen Ständen zu erholen. Also auf eine Runde in der Ecke der Non-Books, wo sich heuer manches findet, was man in früheren Jahren eher im Freien antraf. Lesemagnete, Papeteriewaren, Steckspiele und handschmeichelnde Holzknöpfe können uns da nicht wirklich interessieren. Und vor den Seifen und Bienenwachstüchern für die Aufbewahrung von Lebensmitteln wird die Frage erst recht virulent, wie die Verbindung zum Buch noch aussieht.
Und die hübschen kleinen Zimmer-Boomerangs aus Karton? In ihnen steckt vielleicht ein Wink für Designer: das Buch oder sagen wir besser allgemeiner: der Textkörper, den man in die Ecke wirft, aus der er prompt zurückkehrt. Eigentlich ein Albtraum. Von dem man sich dann im heißen Wasser mit einem plastifizierten „Wannenbuch“ erholen kann. Zum Beispiel bei „Goethe erotisch“, „garantiert in fünfzehn Minuten gelesen“. Aber damit ist man doch schon wieder bei den Büchern. (hmay.)