F.A.Z.-Buchmessekrimi 1/3 : Der Duft der Bücher: Die Wahrheit im Morgenlicht
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Kein Stäubchen kann das Gin-Glas trüben. Bild: Picture-Alliance
Ein Kritiker steckt seine Nase gern allzu tief in Bücher. Ein Schriftsteller gerät in Wut. Erster von drei Teilen des F.A.Z.-Buchmessekrimis „Der Duft der Bücher“.
Seine Augen waren geschlossen, die Kamera zeigte ihn in Großaufnahme.
Er nahm einen tiefen Zug. Seine Nase rieb über die leicht raue Struktur. Papier und Druckfarbe rochen einzigartig. Dazu das Aroma des Leims, der die Seiten zusammenhielt. Rochen die beiden Seiten unterschiedlich? Ja, links etwas mehr nach langfaserigem Nadelholz… Fichte vielleicht, ja, ganz sicher… und eine Ahnung von Tanne. Rechts hingegen war mehr Tiefe. Hinzu kam ein Hauch von Harz… Pflanzenöl, kaum wahrnehmbar… das war die Druckfarbe… hier mussten mehr Buchstaben sein.
Aus den Augenwinkeln heraus sah er, dass er recht hatte: die linke Seite war fast leer. Rechts oben begann der Text.
Es gruben sich Lachfältchen ein. Seine Mundwinkel gingen nach oben. Natürlich hatte er recht. Wie immer.
Er nahm einen weiteren, noch tieferen Zug. Es war wieder soweit.
PENG!
Mit einer einzigen Handbewegung knallte er das Buch zu. Seine stahlblauen Augen blickten in die Kamera. Überall wurde der Atem angehalten. Dann kam das Urteil:
„Talent riecht anders.“
* * *
Soltau, Lüneburger Heide, Hauptbahnhof, Freitag, 13. Oktober, ganz früh morgens
Dieser Gernegroß!
Dieser Giftzwerg!
So ein unwürdiger kleiner Wurm!
Merde!!!
Gérard de Boucher zerknüllte das Zeitungsblatt wie im Blutrausch, drückte es so fest zusammen, dass nur noch eine winzige Kugel übrigblieb. Er funkelte sie eine Weile gefährlich an und riss sie wieder auseinander. Fixierte das zerknitterte Stück Papier, als wolle er es Kraft seiner Pupillen in Brand setzen.
Die Menschen drehten sich zu ihm um und musterten ihn irritiert. Gérard de Boucher merkte es nicht. Er warf das Stück Papier zu Boden und trampelte darauf herum. Als hätte er vor, es in den Asphalt zu stampfen.
Was bildete sich dieser Wicht von einem Kritiker ein, ein derart dreistes Urteil über seinen Roman zu fällen? Ach was, Roman, es handelte sich um ein Meisterwerk!
So lautete nicht nur seine eigene Einschätzung, sondern auch die seines Verlegers, der das Debutwerk nach der Zahlung einer unbedeutenden fünfstelligen Summe veröffentlicht hatte.
Auch wenn die Verkaufszahlen noch sehr zu wünschen übrigließen: Dieser Mann verstand wenigstens was vom Buchgeschäft!
Im Gegensatz zu diesem Kretin Gregor Ludwig, der garantiert nichts anderes als erotische Schundheftchen auf der Toilette las, damit seine Frau – bestimmt eine Furie mit rotgefärbten Haaren und fünf Katzen – nichts davon mitbekam!
Gérard de Boucher schnaubte. Ein verletzter Stier in der spanischen Arena war die Ruhe selbst im Vergleich zu ihm in seinem momentanen Zustand.
Muse, Gefühle, Herzblut, alles gut und schön. Aber wer sich zu einer echten Schriftstellergröße aufschwingen wollte, bei dem musste alles andere auch stimmen. Reiseschreibmaschine, grauer Vollbart, Safarihemd, alter Whisky und Zigarren als Grundnahrungsmittel. Und auch mal einen Gin, wenn man sich genötigt sah, in der Tat mal einen ganzen Satz aus seinem wundervollen Werk zu streichen. Aber das passierte zum Glück höchst selten.
Die Flasche Gin setzte dennoch nie Staub an.
Der Zug rollte ein. Mit Verspätung. Natürlich. Gérard de Boucher schnappte sich seine lederne Reisetasche mit den eingestickten goldfarbenen Initialen GdB, marschierte in sein Abteil wie ein zorniger General und ließ sich schwer auf den Sitz fallen. Seine große Tasche knallte er neben sich. Er trommelte auf der Tischplatte. Raufte sich die eisgrauen Locken. Seine fleischigen Hände sausten im Stakkato herab. Es knackte verräterisch, doch die Platte hielt.
Natürlich hatte er beim Lesen des unverschämten Artikels zur Sendung gleich erkannt, dass dieser Möchtegern-Kritiker ein Problem mit seinem Verlag hatte. Also bitte, wo blieb denn da die viel gepriesene Objektivität? Mochte sein, dass dort auch schon weniger bedeutende Werke herausgebracht worden waren. Aber schließlich fiel ja nicht jeden Tag ein de Boucher vom Literatenhimmel.