
Frankfurter Buchmesse : Auch symbolisches Kapital zählt
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Auch wenn sie nur einen Blick erhaschen: Buchmessebesucher 2021 beim Blick aufs Blaue Sofa Bild: Frank Röth
Wie kann sich die Buchmesse rechnen, wenn nur eine großzügige Zählweise eine niederschmetternde Bilanz verhindert? Was bleiben wird, ist die ersichtliche Freude der Leser und Autoren.
Dank Pierre Bourdieu gibt es den Begriff des symbolischen Kapitals. Wie sollten wir sonst über die aktuell laufende Frankfurter Buchmesse urteilen? Mit einem betriebswirtschaftlichen Verständnis von Kapitalisierung? Dann bliebe nicht viel übrig, was für diese Messe sprechen würde. Die Rahmenbedingungen in Pandemiezeiten verlangten eine Begrenzung der Besucherzahl auf 25.000 am Tag. An diesem Wochenende wird diese Zahl auch erreicht, wie man aufgrund der obligatorischen Voranmeldungen weiß. Aber an den ersten drei Messetagen blieb man teils deutlich darunter. Insgesamt werden somit bestenfalls 100.000 Personen die Buchmesse besucht haben. Ein Drittel der sonst üblichen Zahl.
Bei den Ausstellern war der Rückgang sogar noch stärker: auf zwei- statt sonst fast achttausend. Dabei schlug vor allem der Ausfall ausländischer Teilnehmer zu Buche. Würde man die vielen nationalen Gemeinschaftsstände anders abrechnen, wäre die Zahl geradezu niederschmetternd. Dort sind teilweise Dutzende Verlage lediglich mit einzelnen Regalen vertreten, werden aber jeweils als Einzelaussteller gezählt. Die Messe ist in diesem Jahr nicht einmal attraktiv genug für manche große deutschsprachige Verlage wie Hoffmann und Campe, die Evangelische Verlagsanstalt oder Diogenes. Selbst die Frankfurter Verlagsanstalt und damit ein Lokalmatador hat den Auftritt gescheut.
Kein Wunder angesichts der ja seit Bekanntgabe des Hygienekonzepts absehbar niedrigen Besucherzahlen. Aber ein Teufelskreis für die Messe, denn durch das verringerte Angebot an Ausstellern war auch die Motivation für Besucher geringer, vor allem für das Fachpublikum, dem die ersten beiden Tage vorbehalten waren. Erstaunlich, dass die Messe an diesem alten Exklusivitätskonzept festgehalten hat. Auch falsch, wie man nun weiß, denn so herrschte zunächst gähnende Leere auf dem Gelände, was die Stimmung der Aussteller drückte.
Eine Hoffnung
Gerade die kleineren unter ihnen hatten aber dieselben Kosten zu tragen wie zu früheren Zeiten. Zwar hatte die Messe die Mindeststandfläche verdoppelt, um den Abstandsregeln gerecht werden zu können, und dafür denselben Preis verlangt wie bisher. Aber das nutzte denjenigen Teilnehmern nichts, für die nur das kleinste Segment erschwinglich ist. Sie hatten zwar nun doppelt so viel Platz, aber bisweilen nicht einmal die nötige Zahl Bücher, um die Regale zu füllen. Eine Preisermäßigung wäre ihnen zweifellos lieber gewesen.
Doch auch die Messe musste ja ungeachtet der ihr zugesicherten Bundes- und Landessubventionen in Millionenhöhe so kalkulieren, dass sie sich nicht ruinierte. Ein zweites Jahr ohne Präsenzmesse hätte aber wohl das Aus für die immer noch weltgrößte Veranstaltung ihrer Art bedeutet und dem Messestandort Frankfurt nach dem Weggang der IAA sein zweites Aushängeschild genommen. Also musste die Buchmesse durchgeführt werden – koste es, was es wolle. Und an diesen Kosten hatten sich auch die Aussteller zu beteiligen, in der Hoffnung auf eine Zukunft für dieses zentrale Austauschforum ihrer Branche. Rückzahlung erfolgt zunächst eben nur in symbolischem Kapital.
Ein Ärgernis
Das aber könnte hoch sein, auch in den Augen anderer Veranstalter, die gespannt auf Frankfurt blicken. Erst die beiden Schlusstage werden den Ausschlag geben über die Wahrnehmung der Buchmesse 2021. Und die Stimmung bei den zahlreichen öffentlichen Lesungen in der Stadt gibt betreffs Neugier und Dankbarkeit des breiten Publikums zu schönsten Hoffnungen Anlass.
Dass an den Fachbesuchertagen Lesungen in der riesigen Festhalle auf dem Messegelände organisiert wurden, in die sich bestenfalls ein paar Dutzend Zuhörer verirrten – geschenkt. Dass bei der Eröffnungsfeier beide Videoschaltungen scheiterten und somit die auf Englisch vorgetragenen Grußbotschaften der Starautorinnen Margaret Atwood und Joséphine Bacon aus dem Gastland Kanada weniger gut zu verstehen waren als die Begrüßung der kanadischen Generalgouverneurin Mary May Simon, die sich in ihrer Muttersprache Inuktitut ans Publikum richtete – technisch peinlich, aber immerhin ein Beleg für die Notwendigkeit von Unmittelbarkeit gerade beim interkulturellen Austausch. Was bleiben wird von dieser Messe, ist die Freude der Leser und Autoren darüber, nicht immer nur einsam über einem Buch ihrer Leidenschaft zu brüten.
Deshalb ist es ärgerlich, dass die Messe überschattet wird von der medial aufgeheizten Erregung über einen Verlag, von dessen Publikationen aus dem rechtsradikalen Spektrum zuvor kaum jemand etwas gehört haben dürfte. Auf Twitter bedankte der sich für die Aufmerksamkeit, die durch den Protest gegen seine Anwesenheit erzeugt wurde; es dürfte in der Tat keinen anderen Messestand gegeben haben, der in den vergangenen Tagen vergleichbares Interesse auf sich gezogen hat.
Voreiliger Aktivismus hat wieder einmal das Gegenteil dessen erreicht, was er anstrebte: Dem Verlag sollte das Forum genommen werden – stattdessen ist er nun in aller Munde. Symbolisches Kapital kann auch in die falschen Taschen fließen.