Elif Shafak: Der Bonbonpalast : Die Stadt, der Müll und der Heilige
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Bild: Eichborn
Istanbul stinkt, duftet und leuchtet: „Unbegrenztheit, hergestellt aus begrenzten Mitteln, Reichtum geboren aus Armut, endlose Vielfalt entstanden aus Krümeln“. Elif Shafaks „Der Bonbonpalast“ handelt von einem Haus in Instanbul, als Metapher für die ganze Stadt.
Die erste amtliche Müllabfuhr in Istanbul gab es 1886, vorher wurde die Stadt lediglich nach Brauchbarem durchkämmt. Damit begann die türkische Moderne. Kämmerer gibt es aber auch heute noch, und mit der ökologischen Disziplin der Hauptstädter steht es nicht gut. Die 1971 in Straßburg geborene Elif Shafak hat in Spanien und in den Vereinigten Staaten gelebt und gelehrt und wohnt nun umso lieber wieder in Istanbul, obwohl sie durch ihren Roman „Der Bastard von Istanbul“ (deutsch 2007) Bekanntschaft mit dem Paragraphen gegen Verunglimpfung des Türkentums gemacht hat. Ihrem sondernden Blick wird der Müll der wuchernden Stadt lesbar als so unkontrollierbare wie charakteristische Vermengung des Geschichtlichen und des Gegenwärtigen.
Der Bonbonpalast ist ein unscheinbares Mietshaus in einem belebten Viertel Istanbuls. Zehn Parteien wohnen darin, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Mehr oder weniger traditionelle türkische Familien, ein russisch-türkisches Ehepaar, ein morbider Student mit seinem Bernhardiner, den er aus seiner Schweizer Zeit behalten hat, eine sensible Mätresse und Tantchen Madam, die älteste Bewohnerin, über die man nur weiß, dass sie am Bosporus das Strandgut durchkämmt und sich die Haare wenig altersgerecht platinblond färben lässt.
Das Haus als Metapher der Stadt
Die Zwillinge Cemal und Celal, auf dem Land aufgewachsen der eine, in Australien der andere, betreiben einen Friseursalon, der zugleich die Nachrichtenzentrale des Hauses ist. Häufiges Thema ist der Müll vor dem Haus, der manchmal auf mysteriöse Weise verschwindet. Leider stinkt es auch im Inneren nach Abfällen, niemand weiß warum. Kakerlaken vermehren sich rapide, was vor allem die putzsüchtige Hygiene-Tijene in den Wahnsinn und dazu treibt, alles vermeintlich Verseuchte aus dem Fenster zu werfen. Das ruft den Kammerjäger auf den Plan, der auf den Namen Unrecht hört, behauptet jedenfalls der Erzähler.
So ist das Haus eine Metapher der Stadt und bezeichnet zugleich das Konstruktionsprinzip von Elif Shafaks Roman. Dessen Architektonik steht jedoch eine Poetik der Mixtur gegenüber, gleich jener Süßspeise, die angeblich auf der Arche Noah entstand und in die man so ziemlich alles hineingeben kann, was gerade vorhanden ist. Auch die ist „wie eine kosmopolitische Stadt, in der sich Zugereiste schnell mit den Alteingesessenen vermischten und Ausländer nicht alleine blieben“. In solcher Bildlichkeit fällt die Beschreibung der Produktivkraft der Stadt mit einer poetischen Definition der schöpferisch verwendeten Sprache zusammen: „Unbegrenztheit, hergestellt aus begrenzten Mitteln, Reichtum geboren aus Armut, endlose Vielfalt entstanden aus Krümeln.“
Ein Ich, das dem Leser seinen Namen nicht verrät
Warum das Haus Bonbonpalast genannt wird, darf nicht verraten werden. Der Name erklärt sich aus der Geschichte eines russischen Immigrantenehepaars, die für sich eine hübsche und bittere Novelle darstellt. Auf dem Grundstück befand sich vorher ein Friedhof, auf welchem sich bei den Bauarbeiten das doppelte Grab eines Heiligen fand. Nach einem bekannten Muster aber erwiesen sich die Gräber als leer. Der Heilige hatte sich offenbar gleich zweimal auf und davon gemacht. Ihm wird im Roman eine fiktive Auferstehung zuteil.