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Brief aus Istanbul : Erdoğan will uns mit unserem eigenen Geld kaufen

  • -Aktualisiert am

Recep Tayyip Erdoğan nimmt am 9.Januar 2023 in Sakarya an einer Zeremonie teil, die anlässlich der Auslieferung neuer Haubitzen stattfindet. Bild: Murat Cetinmuhurdar/Presidential Press Office/Handout via REUTERS

Maximal fünf Monate sind es bis zu den Wahlen in der Türkei. Werden Wahlbestechungen Erdoğans Leben im Palast verlängern? Die Repression nimmt zu. Besonders beunruhigend ist ein politischer Mord.

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          In den letzten Monaten seiner über zwanzigjährigen Regierungszeit steht Erdoğan vor einer bedeutenden Wegscheide. Er will weitere fünf Jahre in seinem Tausend-Zimmer-Palast bleiben, allerdings dürfte es ihm nicht leichtfallen, aus der Mangel, in die er das Land genommen hat, einen Sieg hervorzupressen. Wenn es ihm nicht gelingt, auf den beiden schwierigsten Feldern, der Wirtschaft und der Demokratie, das Ruder herumzureißen, wird er spätestens im Mai seine Sachen packen müssen.

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          Wie jeder Politiker, der eine Wahl gewinnen will, weiß er, dass er seine Herrschaft nur verlängern kann, wenn er Zugeständnisse in der Wirtschaft und bei der Demokratie macht. Doch er hat wenig Handlungsspielraum. Zieht er seine eiserne Faust vom Land ab, rutscht ihm der Boden unter den Füßen weg. In einer freien, demokratischen Atmosphäre würde sich die Opposition festigen, der Prozess seines Machtverlustes wäre beschleunigt. Ebenso wenig kann er die Wirtschaft aus der Flaute holen. Zum einen sind es nur noch maximal fünf Monate bis zu den Wahlen, in dieser Zeitspanne ist es unmöglich, die Armut breiter Massen abzuschaffen und für Wohlstand zu sorgen. Zweitens dürfte das von ihm errichtete Wirtschaftssystem eine Revision kaum überstehen, weil es, insbesondere hinsichtlich der Finanzierung seiner Politik, auf einem Getriebe aus Korruption basiert.

          Bülent Mumay
          Bülent Mumay : Bild: privat

          In meinem letzten Brief hatte ich gesagt, Erdoğan befleißige sich der Taktik, wenn er schon nicht gewinnen könne, müssten auch alle anderen verlieren. Die ersten Hinweise darauf sehen wir: Die Repressalien gegen die Opposition nehmen zu. Da Erdoğan keine demokratische Öffnung wagen kann, sorgt er dafür, dass seine Widersacher verlieren. Ekrem İmamoğlu, der als aussichtsreicher Herausforderer galt, hat er mit Politikverbot belegen lassen. Letzte Woche erfolgte ein weiterer Schritt, um die Kurden abzustrafen. Die vom Palast gelenkte Justiz fror das Konto der von einem Verbotsverfahren bedrohten HDP für Zahlungen vom Fiskus (rund 26,8 Millionen Euro), die nach dem Stimmenanteil bei den vorangegangenen Wahlen berechnet werden, ein. Falls sie bis zu den Wahlen nicht ohnehin verboten wird, steht der Kurdenpartei also kein Geld für den Wahlkampf zur Verfügung. Damit wird dem kurdischen Stimmenpotential für den Kandidaten des oppositionellen Blocks geschadet.

          Repression gegen Presse und Zivilgesellschaft

          Und es geschah noch etwas, das bedrohlich aussieht. Kurz nachdem der junge Politiker Sinan Ateş Erdoğans rechtsextremen Koalitionspartner MHP kritisiert hatte, kam er bei einem Anschlag ums Leben. Als Vorsitzender der Idealistenvereine, der Jugendorganisation der MHP, war Ateş des Amtes enthoben worden, nachdem er Kritik an der Regierung geübt hatte. Danach hatte Ateş, der erheblichen Einfluss auf die nationalistisch gesinnte Jugend hatte, Verbindungen zu einer anderen nationalistischen Partei aus dem Bündnis der Opposition geknüpft. Am Tag nachdem er ein Foto geteilt hatte, das ihn mit Kadern dieser Partei zeigt, wurde er in Ankara von professionellen Killern ermordet. Besonders auffällig war, dass MHP-Chef Devlet Bahçeli stumm blieb, die Tat weder verurteilte noch eine Kondolenzbotschaft veröffentlichte. Der Grund für sein Schweigen wurde bald deutlich. Die Killer waren unter Angehörigen einer Drogenbande in Istanbul ausgewählt und von zwei Polizisten einer Spezialeinheit nach Ankara gebracht worden. Interessanter noch: Es kam heraus, dass der Istanbuler Provinzvorsitzende der MHP dem Kopf der Bande, die den Anschlag organisiert hatte, Geld geschickt hatte. Und ein Helfer des Attentats wurde im Haus eines MHP-Abgeordneten festgenommen.

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