Brief aus Istanbul : Erdoğans neue Freunde von der Hizbullah
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Recep Tayyip Erdogan bei einer Rede vor Abgeordneten seiner Partei AKP im türkischen Parlament in der vergangenen Woche Bild: AFP
Um seine Macht zu erhalten, sucht der türkische Staatspräsident die Nähe ehemaliger Terroristen: Die HÜDA-PAR ist der politische Arm der Terrororganisation Hizbullah, die in der Türkei brutale Morde verübte.
Die auf den Trümmern des Osmanischen Reichs 1923 gegründete türkische Republik wurde zunächst maßgeblich von ihrem Gründer Mustafa Kemal Atatürk geprägt. Nun vollendet sie ihr bewegtes erstes Jahrhundert. Nach zwanzig Jahren unter Erdoğans autokratischem Regime könnte nun ein anderer „Kemal“ den Einstieg ins zweite Jahrhundert prägen. CHP-Chef Kemal Kılıçdaroğlu ist es gelungen, kleine konservative und gemäßigt nationalistische Parteien der Opposition zu einem Sechserbündnis zusammenzubringen. Als ihr gemeinsamer Kandidat tritt er bei den Wahlen am 14. Mai als aussichtsreichster Herausforderer gegen Erdoğan an. In aktuellen Umfragen weniger als zwei Monate vor den Wahlen liegt der Vorsitzende der führenden Oppositionspartei vor Erdoğan. Als dann auch die Kurdenpartei HDP, die nicht offiziell zum oppositionellen Block gehört, signalisierte, keinen eigenen Kandidaten aufstellen, sondern Kılıçdaroğlu unterstützen zu wollen, geriet die Kalkulation des Präsidentenpalastes durcheinander.
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2018 war Erdoğan mit 52,5 Prozent zum Staatspräsidenten gewählt worden, aufgrund der Wirtschaftskrise, in die er das Land gestürzt hat, wie auch des Missmanagements nach dem Erdbeben wird er kaum die für einen Wahlsieg nötigen 50+1 Prozent erringen können. Das können auch die 9,3 Millionen Euro nicht ändern, die das dem Palast angegliederte Amt für Kommunikation, dessen einzige Funktion darin besteht, Propaganda für Erdoğan zu machen, im Februar aufgewendet hat.
Erdoğan ist sich dessen bewusst, er hat begonnen, die Option einer Niederlage zu kaufen. Minister, die im Fall eines Wahlsiegs der Opposition vor Gericht kommen könnten, lässt er ins Parlament wählen, um sie durch den Panzer der Immunität zu schützen. Ebenso schickt er sich an, Beamte, die im Erdbebengebiet durch Fahrlässigkeit zum Tod Zehntausender beitrugen, aus demselben Grund zu Abgeordneten seiner AKP zu machen. Die Aussicht auf eine Niederlage hat die Attraktivität der AKP offenbar verringert. Vor den letzten Wahlen ließen sich nahezu achttausend Personen als Abgeordneten-Kandidaten der AKP aufstellen, vor dem 14. Mai sind es bisher lediglich rund dreitausend.
Erdoğan will nach über zwanzig Jahren seine Macht nicht verlieren; nun ging er eine gefährliche Kooperation ein. Er beschloss, sich mit der HÜDA-PAR zu verbünden, dem politischen Arm der Terrororganisation Hizbullah, die in den 1990er-Jahren für brutale Morde in der Türkei verantwortlich war. Er zielt darauf ab, dass die von einem Verbotsverfahren bedrohte HDP noch vor den Wahlen geschlossen wird und er dann die Stimmen der für die Scharia eintretenden HÜDA-PAR ergattert, die ihre – nicht allzu vielen – Anhänger, genau wie die HDP, in den kurdischen Provinzen hat. Um zu verdeutlichen, wie gefährlich die Zusammenarbeit Erdoğans mit der HÜDA-PAR ist, die er mit dem Satz „Die Legende vom 14. Mai schreiben wir gemeinsam mit Freunden, die sich uns neu angeschlossen haben“ verkündet hatte, muss ich die Verbindung der legalen Partei HÜDA-PAR zu den Morden der Hizbullah erläutern.
Der Mord an zahlreichen türkischen Oppositionellen geht auf das Konto der Hizbullah
Die 1990er-Jahre verliefen in der Türkei blutig. Im Südosten des Landes dauerten die Gefechte zwischen dem Staat und der Terrororganisation PKK an, da betrat die türkische Hizbullah die Bühne, die sich seit den 1980ern im Umfeld einer konservativen Buchhandlung organisiert hatte. Die Terrororganisation, die der Staat damals gegen die PKK unterstützte, vor deren Aktionen er, gelinde gesagt, die Augen verschloss, begann, Anschläge gegen Oppositionelle in der Region auszuüben. Dissidenten wurden auf offener Straße durch den Hieb eines Hackmessers in den Nacken oder einen gezielten Schuss getötet oder lebendig begraben. 1994 brachte die Hizbullah einen kurdischen Abgeordneten um, 2001 ermordete sie einen Polizeichef, der gegen sie vorging. Das Grauen, das die Organisation verbreitete, wurde nach einer Operation deutlich, bei der 2000 ihre Anführer getötet wurden. Dabei wurden Unterlagen sichergestellt, dank derer in zahlreichen Städten in der ganzen Türkei aus Kellergewölben die Leichen jahrelang verschwundener Oppositioneller geborgen werden konnten. Es stellte sich heraus, dass die Hizbullah ihre Opfer entführt, in einer als „Schweinepaket“ bezeichneten Weise verschnürt und gefoltert hatte, um sie anschließend bei lebendigem Leib zu begraben.