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Die Türken rüsten auf : Mein Pferd, mein Weib, meine Waffe

  • -Aktualisiert am

Auch dieser Randalierer im Istanbuler Stadtteil Gazi Mahallesi ist bewaffnet. Bild: Picture-Alliance

In Istanbul ist plötzlich ein Rüstungswettlauf ausgebrochen: Warum Türken sich bewaffnen und auf die Mitarbeiter eines Epilierstudios geschossen wird.

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          Seit der Zeit, da die Türken in Zentralasien lebten, bevor sie nach Anatolien zogen und von dort aus die Tore Europas bestürmten, lautet eines ihrer Dikta: „Pferd, Weib, Waffe.“ Die Heiligkeit dieser Triade deutet die türkische Mythologie so: „In der türkischen Kultur darf das Haar der Frau eines Mannes und der Schweif seines Pferdes nicht unerlaubt angerührt werden, sie mit Gewalt abzuschneiden, gilt als äußerste Ehrverletzung, die nur mit der Waffe bereinigt werden kann.“

          Jahrhunderte mögen vergehen, und man mag sich mit unzähligen anderen Kulturen vermischen, doch manche Bausteine im genetischen Code einer Gesellschaft bleiben unverändert. Dass „Pferd, Weib, Waffe“ bis heute im Türkischen in einem Atemzug genannt werden, hat weniger mit Sprachpflege zu tun als vielmehr damit, dass jedem dieser Begriffe bis heute etwas Sakrosanktes anhaftet. Sicherlich, in Sachen individuelle Bewaffnung ist die Türkei noch nicht mit den amerikanischen Südstaaten vergleichbar. Waffenbesitz bedarf in der Türkei noch immer der staatlichen Genehmigung. Allerdings lassen gewisse Tendenzen seit dem Putschversuch vom 15. Juli die Sorge wachsen, das Land könnte zu einem zweiten Texas werden.

          Die frohe Botschaft lautet Aufrüstung

          Es war Şeref Malkoç, einer von Erdogans Dutzenden Beratern, der die Lunte entzündete. Zwei Tage nach dem Putschversuch sagte er im staatlichen Fernsehen: „Noch wird verhindert, dass Bürger sich Waffen auf Lizenz besorgen. Damit das Volk aber sein legitimes Recht auf Selbstverteidigung gegen Putschisten ausüben kann, sollte die Erteilung von Waffenscheinen erleichtert werden.“

          Selbstverständlich meldete sich auch der Bürgermeister von Ankara zu Wort. Mit phantastischen Äußerungen wie etwa jenen, die Gülenisten planten in der Türkei aus Rache ein Erdbeben und Gülen hätte beim Coup auch Dämonen zum Einsatz gebracht, hatte er zuvor schon Aufsehen erregt. In einer Fernsehsendung verkündete Melih Gökçek nun die frohe Botschaft, im Land habe eine enorme Aufrüstung eingesetzt, die künftige Putschisten in Schach halten werde: „Leute kaufen Pumpguns und legen sie sich zu Hause hin. Wenn du dich morgen zum Putsch aufschwingst mit Kalaschnikow und Sturmgewehr, werden die dann nicht mit ihren Pumpguns kommen?“

          Angeregt durch Malkoçs Äußerung im Fernsehen, setzte der Rüstungswettlauf ein und nahm nach Gökçeks Worten weiter an Fahrt auf. Insbesondere die Bewohner der türkischen Schwarzmeerregion sind in Waffen vernarrt. Die Menschen dort sind bekannt für ihr hitziges Temperament und stehen laut dem Gouverneur von Rize, der Provinz, aus der Erdogans Familie stammt, ganz vorn bei der Aufrüstung. Er sei gegen Bewaffnung, man müsse verhindern, dass Leute sich Waffenscheine besorgen, sagte der Gouverneur. In Rize habe er in nur drei Monaten fünfmal so viele Waffenscheine ausgestellt wie im westanatolischen Manisa in zwei Jahren.

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