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Brief aus Istanbul : Erdogans tödliche Steuern

  • -Aktualisiert am

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Freitag in Istanbul Bild: AP

Weil die Regierung den Alkohol überteuert, panschen die Menschen ihren Raki selbst und sterben daran. „Wahrhaft fromm ist, wer bei Mangel geduldig ausharrt“, sagt Präsident Erdogan.

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          Die Lage der Wirtschaft in der Türkei verschlechtert sich weiter. Das Palastregime greift stets zu derselben Maßnahme. In eingeübter Hilflosigkeit greift es kurzerhand dem Volk in die Tasche. Die ohnehin schon exorbitanten Steuern werden angehoben.

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          Mehrfach erhöhte die Regierung die Steuern auf Autos und alkoholische Getränke. Kaufen wir ein Auto, zahlen wir so viel Steuern, dass wir dem Staat damit gleich zwei Wagen mitfinanzieren. Beim Kauf von Alkoholika sind wir noch großzügiger. Auf jedes Glas, das wir trinken, kommen drei für Erdogans Haushalt.

          Dass besonders drastisch bei Alkoholika hingelangt wird, ist kein Zufall, denn das trifft Erdogans Basis wenig und passt zum islamistischen Charakter der Regierung. Also zahlen in der Türkei die Konsumenten alkoholischer Getränke die höchsten Steuern. In den vergangenen zehn Jahren stiegen die Steuern auf Alkoholika um beinahe 500 Prozent. In Deutschland könnten Sie mit einem monatlichen Mindestlohn 3158 Flaschen Bier kaufen, in der Türkei dagegen nur 186.

          Bülent Mumay
          Bülent Mumay : Bild: privat

          Die Steuern treiben die Preise für Spirituosen in die Höhe. Statt ein Vermögen für eine Flasche Raki auszugeben, stellen die Bürger nun bei mangelnder Hygiene daheim selbst alkoholische Getränke her. Manche haben ihre Wohnung in eine kleine Schnapsbrennerei verwandelt und produzieren, wo sie schon einmal dabei sind, auch Whisky und Wodka. Erdogan hat zwar erklärt, unser Nationalgetränk sei Ayran, doch dank der Steuern ist Raki sein Lieblingsgetränk. Ebenso sehen es die Bürger, allerdings aus anderen Gründen. Blogs mit Rezepten zur Raki-Herstellung schießen wie Pilze aus dem Boden. Es wurden sogar Online-Shops eingerichtet, die Rohstoffe zur Raki-Produktion wie Ethanol und Anisöl anbieten.

          Bleibende Schäden

          Den Regierenden war gar nicht recht, dass die Bürger nun hausgemachten Raki konsumieren, der sie nur ein Fünftel des Verkaufspreises kostet. Sobald der Staat einen Rückgang der Einnahmen aus dem Alkoholverkauf im Gesamtsteueraufkommen feststellte, verbot er den Verkauf des wichtigsten Rohstoffs für die Raki-Herstellung: Ethanol aus landwirtschaftlicher Produktion darf in Supermärkten und im Internet nicht mehr gehandelt werden. Doch die Leute fanden Wege, das Verbot auszuhebeln. Wer kein Ethanol bekam, mischte dem Raki Methanol bei. Manche griffen zu noch gefährlicheren Substanzen. Sie mischten Reinigungsprodukte wie alkoholhaltige Desinfektionsmittel mit Alkoholaromen und verkauften sie als Raki.

          Das Unglück geschah. In den letzten zwei Wochen starben mindestens 70 Personen nach dem Genuss illegaler Alkoholika. Weit mehr noch ringen auf den Intensivstationen der Krankenhäuser mit dem Tod. Selbst wenn sie überleben, tragen sie bleibende Schäden wie den Verlust des Sehvermögens davon. Das kümmert die Regierenden wenig. Ganz im Gegenteil, der ein oder andere lachte sich gar ins Fäustchen. Ein Mitglied der Jugendorganisation von Erdogans AKP erklärte: „Laizisten, wollt ihr Recep Tayyip Erdogan loswerden, trinkt nur reichlich gepanschten Alkohol!“

          Andern predigen sie, den Mangel zu teilen

          Die Wirtschaftskrise indes wirkt sich auf alle Bürger aus. Jüngsten Zahlen zufolge sind vierzig Prozent der Bürger nicht mehr in der Lage, ihre Strom-, Wasser- und Gasrechnungen zu begleichen. Eine von vier Personen im Land ist arbeitslos, Investitionen zur Schaffung von Arbeitsplätzen stehen nicht in Aussicht. Einen Rekord aber brechen wir: den der Auslandsverschuldung. Wir stehen auf Platz achtzehn der größten Ökonomien der Welt, bei der Auslandsverschuldung aber auf Platz sechs.

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