
Bloody Sunday
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Am 30. Januar jährt sich der Tag, an dem in Nordirland dreizehn Männer und Jugendliche durch Kugeln des britischen Militärs starben.
Kurz nach 16 Uhr soll morgen jener Minute, in der britische Fallschirmjäger vor dann genau fünfzig Jahren im nordirischen Londonderry das Feuer auf die Teilnehmer eines Protestmarsches gegen die Londoner Internierungspolitik eröffneten, mit Schweigen gedacht werden. Dreizehn unbewaffnete Männer und Jugendliche starben unter den Kugeln des Militärs, ein vierzehnter erlag später seinen Verletzungen. Es dauerte fast vierzig Jahre, bis die britische Regierung eingestand, dass die Schüsse „ungerechtfertigt und nicht zu rechtfertigen“ gewesen seien. Die Vorgänge jenes 30. Januars 1972 wurden sogleich durch den Beinamen „Bloody Sunday“ mit dem Blutsonntag vom November 1920 verknüpft, an dem britische Einheiten als Vergeltung für die Ermordung von fünfzehn britischen Spionen im Dubliner Croke-Park-Stadion in eine Menge schossen und vierzehn Menschen töteten. Wie der prominente irische Autor Fintan O’Toole in seinen gerade erschienenen Erinnerungen verzeichnet, reihte diese Namensgebung die Opfer des zweiten Blutsonntags ein „in die breite Gesellschaft der gemarterten Toten und definierte das Massaker von Derry als weiteres Kapitel des langen Narrativs vom irischen Freiheitskampf“.
Das sich auch in die populäre Kultur tief eingeprägte Gräuel vom 30. Januar 1972 und dessen Nachwehen erwiesen sich als die wirksamste Rekrutierungskampagne der IRA und führten noch im selben Jahr zu mehreren Anschlägen, darunter dem sogenannten „blutigen Freitag“ im Juli desselben Jahres, an dem die Terrororganisation in Belfast und Umgebung innerhalb von achtzig Minuten zweiundzwanzig Bomben detonieren ließ. Die Wunden vom „Bloody Sunday“ schwelen bis heute und nähren die ausgeprägte irische Gedächtnis- und Erinnerungskultur auf beiden Seiten des historischen Konflikts. In der vergangenen Woche erzürnte sich die katholisch-nationalistische Gemeinde zu Recht darüber, dass in Derry die Fahne eines britischen Fallschirmjägerregiments gehisst wurde. Das Regiment hat die gezielte Provokation verurteilt. Die protestantisch-unionistische Seite dürfte es ihrerseits als Provokation empfinden, dass der ehemalige Labour-Parteiführer Jeremy Corbyn, der oftmals als Sympathisant und Apologet der IRA kritisiert worden ist, bei der Gedenkfeier eine Festrede halten wird. Diese heiklen symbolischen Akte gehören zum Prozess, den Philip Larkin in seinem berühmten Gedicht „This be the Verse“ (Dies sei der Vers) bildhaft machte, als er davon sprach, dass Menschen ihr Elend an andere weiterreichten und es wie ein Küstenschelf vergrößerten.
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