Berlusconi singt Liebeslieder : Vero amore
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Was macht man, wenn einem das Wasser bis zum Halse steht? Aus voller Kehle singen! So machen es die Neapolitaner schon seit langem, so macht es nun auch Silvio Berlusconi, der eine CD mit Liebesliedern veröffentlichen will. Mit dem realen Zustand des Landes beschäftigen sich derweil andere.
Was macht man, wenn einem das Wasser bis zum Halse steht? Aus voller Kehle singen! So machen es die Neapolitaner, seit mindestens zweitausend Jahren überm Vesuv der Katastrophe trotzend, dem Rest Europas vor. Kein Wunder, dass gerade der kühle Mailänder Silvio Berlusconi eine Schwäche für die quirlig-kriminelle Schnulzenmetropole beweist. Seit seiner Studienzeit als Alleinunterhalter auf italienischen Kreuzfahrtschiffen schreibt der sentimentale Schöngeist Liedchen im neapolitanischen Dialekt. Das nächste Gemeinschaftsprodukt mit dem - nun ja: angemessen beschränkten - Schlagersänger Mariano Apicella soll nach technischen Verzögerungen endlich am 22. November mit einer zünftigen Supersause in Mailand herauskommen. Titel: "Il vero amore". Hatten die Italiener nicht schon länger den Verdacht, dass die wahre Liebe ihres Premiers nicht der Politik, sondern der leichten Muse und den leichten Musen gehört? Dem Vernehmen nach enthält die CD manch flotten Bungabunga (oder war es Samba?) aus der Feder von Silvio persönlich. Davon und von den rechtlichen Verwicklungen des Mogulpolitikers ist in allen Fernsehstationen längst nicht mehr die Rede.
Eine öffentliche und rechtliche Götterdämmerung
Deshalb hat eine der letzten Ikonen des unabhängigen Journalismus, Michele Santoro, nun eine televisive Internetplattform unter dem Namen "servizio pubblico" eingerichtet, in der sich die Italiener - so der Titel - endlich wieder "öffentlich-rechtlich" über den wirklichen Wasserstand von Wirtschaft und Moral in ihrem Land informieren können. Immerhin vierzehn Prozent der Gesamtzuschauerzahl wollte Santoros Apell gegen geknebelte Meinungsfreiheit sehen. Genau wie ein Geheim-Interview mit dem von der Justiz gesuchten Berlusconi-Intimus Valter Lavitola. Oder die Erinnerungen einer blutjungen und immer noch gelinde geschockten Chiara an pornographische Mädchenabende in der Privatresidenz Berlusconis. Oder den Aufruf des Milliardärs Diego Della Valle zum gerechten Steuernzahlen. Sicher - die Mehrheit der Italiener bekommt weiter Nachrichten über die robuste Wirtschaft und die gutgelaunte Politik des Landes aufgetischt, ohne je allzu sehr auf die Schönfärberei hereingefallen zu sein. Doch wirkt angesichts drohender Zahlungsunfähigkeit das Gebaren der rechten (und auch der saturierten linken) Politikerkaste zunehmend wie öffentliche und rechtliche Götterdämmerung, bei der schnell noch ein paar Pöstchen vergeben und ein paar Sümmchen verschwendet werden. War Neapel nicht ursprünglich eine griechische Stadt? Apicella und Berlusconi gehen jedenfalls mit munterem Beispiel voran: Mit einem Liebeslied auf den Lippen geht sich's einfach besser unter.