Berlins Zauber : Rettet die alten Leuchten!
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Nicht sehr helle: Berlin will seinen Gaslaternen das Licht abdrehen Bild: Bertold Kujath
Zum Zauber Berlins zählen seine Gaslaternen - etwa die Hälfter derer, die es weltweit noch gibt. Nun will man den herrlichen historischen Lampen im Namen eines blinden Öko-Eifers den Garaus machen.
Dank seiner Teilungsgeschichte verfügt Berlin über ein technik- und kulturgeschichtliches Unikum von globaler Bedeutung: Im Stadtraum stehen nach wie vor vierundvierzigtausend Gaslaternen, Kandelaber, Hängeleuchten, und damit etwa die Hälfte der rund hunderttausend Gaslaternen, die weltweit in den Großstädten überlebt haben. Einzigartig über diese schiere Zahl hinaus ist, dass, anders als etwa in Frankfurt oder Düsseldorf, in Berlin noch zusammenhängende Stadtgebiete mit Gas beleuchtet werden; nicht nur Randbezirke wie Frohnau oder Lichterfelde, sondern auch die Innenstadtquartiere Charlottenburg und Wilmersdorf. Dort stehen „Schinkelleuchten“, Gasaufsatzleuchten, Hardenbergleuchten oder die eleganten Gasreihenleuchten an Peitschenmasten aus den fünfziger Jahren.
Noch. Denn in Berlin wurde ein Beleuchtungskonzept erstellt, das auf die fast komplette Beseitigung dieser Rarität abzielt und das mild-helle Gaslicht durch Ökosparleuchten bis hin zu technologisch unausgereiften LED-Lampen ersetzen will. Momentan stehen die achttausend Peitschenmasten der fünfziger Jahre auf dem Schlachtprogramm; dreiundzwanzig Millionen Euro sind dafür bewilligt worden. Aber eine rapide wachsende Gruppe aus Bürgern, Gaslicht-Freunden, Touristen und Denkmalschützern wehrt sich. Von regionalen Initiativen bis hin zu „Europa Nostra“, dem europäischen Dachverband des Architektur- und Landschaftsschutzes, setzen sie sich massiv beim Regierenden Kultur-Bürgermeister Klaus Wowereit dafür ein, das Gemetzel auszusetzen, bis die kultur- und technikgeschichtlichen sowie ökonomischen Fragen geklärt sind.
West-Berlin widersetzte sich
Beleuchtungstechnisch ist Berlin nach wie vor zweigeteilt: Im ehemaligen Ost-Berlin, wo von den sechziger Jahren an gemäß der Fortschrittsideologie des Sozialismus radikal elektrifiziert wurde, breitet sich bei Dunkelheit weithin schmutzig-gelbes Licht aus, das die Straßen, Autos, Häuser und Menschen so grau und trübe aussehen lässt, als herrsche Dauernovember. Früher konnte man das noch „französisch“ nennen und schummrig-frivole Atmosphäre assoziieren, weil auch Frankreich und Belgien einige Jahrzehnte auf Gelblicht setzten. Schneller als in der DDR erkannte man dort jedoch die abträglichen Effekte und ging zum elektrischen Weißlicht über.
West-Berlin hingegen widersetzte sich solcher Modernisierung - auch deshalb, weil es im Krisenfall um seine Autarkie fürchtete. Nach 1945 waren Leitungen und sonstige Infrastruktur überwiegend intakt; nur acht Prozent wiesen Bombenschäden auf. Dem verdanken wir auch, dass die radikalen Städtebau-Avantgardisten unter Hans Scharoun mit ihren absurden Abriss- und Neubauplänen außer beim Hansa-Viertel und dem heutigen Kulturforum, nicht zum Zuge kamen.
Die Stadtbeleuchtung durch Gas war rasch wieder in Gang gesetzt und wurde beibehalten, weil das Blockade-Trauma von 1948 mit seiner abgeriegelten, lichtlosen Stadt tief im Bewußtsein der Bürger saß. Überlandleitungen zu großen Kraftwerken im Westen waren sicherheitsgefährdet, Stadtgas konnte selbst erzeugt werden.
Für die Bewahrung der Gasleuchten spricht nicht nur Nostalgie. In der heutigen Stadtökonomik ist der Wert eines technikgeschichtlichen Denkmals ein gewichtiges Argument. Ökonomen nennen das ein Alleinstellungsmerkmal, das Berlin in Unesco-Ehren, Tourismusprogramme und Werbemaßnahmen ummünzen kann. Daneben tritt die für jeden Städter allnächtlich evidente Schönheit des Gaslichts.
Hundertfünfzig Insekten sterben allnächtlich
Sie basiert auf dem Lichtspektrum, das mit wenig UV-Strahlung dem des Sonnenlichts entspricht. Dadurch bleiben beleuchtete Gesichter oder Fassaden, Autolacke oder Seidenblusen natürlich - ein unschätzbarer Vorteil gegenüber Ökospar- und Gelbleuchten, die einen kalkweiß oder leichengrau scheinen lassen. Es mag leisen Ekel erregen, aber auch Insekten, die in einer unerlässlichen Nahrungskette für Vögel bis zum Menschen stehen, gilt es zu berücksichtigen: Die Elektroleuchten einer Stadt produzieren unentwegt Kalvarienberge; hundertfünfzig Insekten sterben allnächtlich pro Lampe. Wie seinerzeit Jane Jacobs, die legendäre amerikanische Stadtsoziologin der sechziger Jahre, kann man den düsteren Horizont eines vogellosen Frühlings aufziehen sehen, wenn diesem Massentöten kein Ende gesetzt wird.
Die Kosten? Mit der Privatisierung der Energieversorger entdeckte die Stromindustrie im Gas den Konkurrenten. Das heute genutzte Erdgas wurde daher künstlich an die Beschaffungspreise des Erdöls gebunden und verteuert sich seither stetig, ohne dass ein nennenswerter Herstellungsprozess gegengerechnet werden könnte - die berühmt-berüchtigte Ostsee-Pipeline für russisches Erdgas wurde öffentlich finanziert. Ferner spielt Erdgas auch in der Energiewende eine zentrale Rolle, weil es durch Dezentralisierung der Energiegewinnung (Blockheizkraftwerke) den Stromoligopolen Paroli bieten kann. Hinzu kommt, dass die Masten der Gaslaternen oft seit mehr als hundertfünfzig Jahren stehen; die hygroskopische Wirkung des Gases macht sie so langlebig. Elektroleuchten haben nur eine Standzeit von etwa zwanzig Jahren - wo hier Nachhaltigkei vorliegt, versteht sich von selbst.
Scheinbar spielerisch hat der Kulturhistoriker Wolfgang Schivelbusch in seinem Epoche machenden Werk „Lichtblicke“ die (französische) Aufklärung und Stadtbeleuchtung in seiner Kulturgeschichte des Lichts miteinander kombiniert. Der Übergang von der archaischen Flamme zum „Glühstrumpf“ war ein zivilisatorischer Fortschritt ersten Rangs. Was ist demgegenüber die „Kakoluzie“ der Werbe-, Hauseingangs- und anderen Privatleuchten, die im unregulierten Chaos ihr diverses Unwesen verstrahlen?
Es ist an der Zeit, dass die öffentliche Hand sich darauf besinnt, nicht nur für sicheres, sondern auch für schönes, mithin aufklärerisches und aufgeklärtes Licht sorgt.