Heimkehr aus Weimar
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Damals begann die Genderdebatte erst nach Mitternacht im Tanzlokal: Szene aus Reinhold Schünzels Filmkomödie „Der Himmel auf Erden“ von 1927. Bild: Deutsche Kinemathek
Nie zuvor und niemals wieder hat das Kino in Deutschland so geblüht wie in der Weimarer Republik – doch ein Großteil der Filme ging verloren. Die Retrospektive der Berlinale zeigt einige Wiederentdeckungen.
Das Kino von Weimar ist das verlorene Paradies und zugleich der unentdeckte Kontinent des deutschen Films. Fast jeder kann sich etwas darunter vorstellen, aber die wenigsten wissen genau, wovon sie reden. Wir kennen Fritz Lang und „Metropolis“; aber wer war Werner Hochbaum? Und was hat Reinhold Schünzel gemacht, bevor er mit „Viktor und Viktoria“ und „Amphitryon“ zwei der besten Filme des frühen deutschen Tonkinos drehte? Gab es nicht auch ein populäres Kostüm- und Kulissengenre jenseits der expressionistischen Highlights wie „Nosferatu“ und „Caligari“? Vieles von dem, was damals über die Leinwand lief, bleibt auch deshalb im Dunkeln, weil von den etwa zehntausend Spiel-, Dokumentar-, Kultur- und Kurzfilmen, die zwischen 1918 und 1933 entstanden sind, nur ein Bruchteil erhalten ist. Und weil selbst dieser Bruchteil oft nur in fragmentarischem und beschädigtem Zustand in den Archiven liegt, auf Silbernitratfilmrollen gebannt, die mit jedem Jahr weiter zerfallen. Die Rettung des filmischen Erbes tut not, denn es ist unser kollektives Bildergedächtnis. Aber diese Rettung ist teuer und langwierig, sie erfordert einen Aufwand, der sich nur mit den Großprojekten der deutschen Denkmalpflege vergleichen lässt.

Feuilletonkorrespondent in Berlin.
Ein Beispiel für eine solche Rettungsaktion ist Ewald André Duponts Film „Das alte Gesetz“, der im letzten Jahr von der Stiftung Deutsche Kinemathek in Berlin restauriert wurde und gleichzeitig mit der Aufführung auf der Berlinale auch auf DVD erscheint. Schon vor gut dreißig Jahren hatte die Kinemathek eine Rekonstruktion der verlorenen deutschen Fassung auf der Basis von vier Exportversionen des Films aus Amerika, Schweden, Frankreich und Russland erstellt, allerdings ohne die farbigen Viragen, die im stummen Kino zum Standard gehörten. Inzwischen sind eine weitere Exportfassung in Italienisch und eine nachträglich vertonte Version sowie die Zensurkarte des Films mit sämtlichen Zwischentiteln aufgetaucht. Für die neue und endgültige Rekonstruktion mussten alle sechs Fassungen digitalisiert werden. Die Farbmuster für die Viragen wurden aus der schwedischen und amerikanischen Version übernommen, einzelne Szenen anhand der Titel-Inserts neu geschnitten. Der restaurierte Film, ein Meisterstück archivalischen Könnens, erreicht mit 132 Minuten die Gesamtlänge der Premierenfassung von 1923.
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