Deutsche Filme im Berlinale-Wettbewerb : Zwei Flammen in seinem Herzen
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Schiller-Sandwich mit Locke: Florian Stetter als doppelt liebender Dichter, eingerahmt von Henriette Konfurius (links) und Hannah Herzsprung Bild: Foto Verleih
Eine Form für die dunklen wie hellen Leidenschaften im Kino: Dominik Grafs Film „Die geliebten Schwestern“ findet Friedrich Schiller, und Dietrich Brüggemann sucht den „Kreuzweg“ - im Berlinale-Wettbewerb.
Ob es der Jahrgang des deutschen Films werden wird, das muss die Jury entscheiden, ganz abgesehen von der Unsinnigkeit, die solchen Länderwertungen anhaftet, als gäbe es auf der Berlinale einen Medaillenspiegel wie in Sotschi. Tatsache aber ist: Nach vier Tagen waren schon drei deutsche Filme im Wettbewerb zu sehen. Und wenn man 170 Minuten mit Schiller und den „Geliebten Schwestern“ verbracht hat, ist das eine gute Nachricht. Der Dichter als Frauenheld, das klingt nach einem Sujet mit Gegenwartsappeal - aber es ist eben nicht so, dass Dominik Graf den Weimarer Klassiker einfach in die Gegenwart zerrte wie der Film „Goethe!“ seinen Goethe.
Die Ménage-à-trois zwischen Schiller (Florian Stetter), und den beiden kleinadeligen Schwestern, der unglücklich verheirateten Caroline von Beulwitz (Hannah Herzsprung) und Charlotte von Lengefeld (Henriette Konfurius), die Schiller heiraten wird, entwickelt ihren Zauber und ihre Wucht aus dem ständigen Spiel von Nähe und Ferne.
Wie man im 18. Jahrhundert liebte, litt, fühlte
Der heiße Sommer von 1788 in Rudolstadt, als Schiller, knapp dreißig und in Geldnot, die Schwestern kennenlernt und sie sich ineinander verlieben, die Jahre danach mit den Mühen der Ehe und der Prosa der Untreue, das kommt einem nur kurz und oberflächlich sehr vertraut vor. Je näher man heran zu kommen glaubt, desto ferner rückt es immer wieder, weil diese Menschen des späten 18. Jahrhunderts eben anders liebten, litten, fühlten als wir heute und weil Graf diese Differenz und Fremdheit nie zu verwischen versucht. Er erliegt auch nicht der Versuchung, Kostüme, Requisiten, Schlösser und Säle mit diesem etwas spießigen Hausbesitzerstolz vorzuführen, wie das in Historienfilmen so oft passiert.
Noch entscheidender ist aber, wie dieser Film klingt, in dem so viele Worte der Leidenschaft gesprochen und geschrieben werden. Graf hat immer wieder neue visuelle Varianten gefunden und des öfteren auch Briefpassagen erfunden. Die Stimme kommt aus dem Off, das Gesicht blickt uns stumm an; die Schreibenden reden miteinander in Schuss und Gegenschuss, und es geht dabei auch wild durcheinander, wenn Gefühlsturbulenzen heraufziehen.
Ein Kostümfilm als Solitär im deutschen Kino
Vor allem aber hat Graf mit seinen Schauspielern traumwandlerisch sicher einen Weg gefunden, Schiller zu sprechen. Sie deklamieren nicht in diesem übertrieben feierlichen Stadttheatertonfall, sie reden auch nicht, was genauso oft vorkommt, wie Daily-Soap-Darsteller, die man in historische Kostüme gezwängt hat. Wenn Schiller von den „zwei Flammen in meinem Herzen“ spricht, wenn man dann sieht, wie die drei einander umarmen, dann wirkt das nicht wie metaphernselige Poesie, sondern für die Liebenden einfach ganz alltäglich.
Graf hat unlängst gesagt, eigentlich interessierten ihn nur der Polizeifilm und die „bourgeoisen Liebesdiskurse“. Am Ende, wenn man aus diesen „Geliebten Schwestern“ kommt, liegen die beiden Pole gar nicht so weit voneinander entfernt: weil es immer darum geht, dunklen wie hellen Leidenschaften im Kino eine Form zu geben. Und deshalb hat Dominik Graf einen Kostümfilm gemacht, der im deutschen Kino ein Solitär ist - und wohl auch noch lange bleiben wird.
Was genau Dietrich Brüggemann in seinem neuen Film gemacht hat, ist nicht so leicht zu sagen. Brüggemann demonstriert einen Formwillen, der bisweilen ziemlich angestrengt wirkt. „Kreuzweg“ erzählt in vierzehn festen Einstellungen davon, wie die vierzehnjährige Maria (Lea van Acken) am „wildgewordenen Katholizismus“ (Brüggemann) und ihren religiösen Phantasmen zugrunde geht. Die Statik der Tableaus, die fast wie Schaukästen angerichtet werden, erinnert von ferne an die Kino-Exerzitien des Österreichers Ulrich Seidl.
Vor allem aber führt sie dazu, dass man jede Kamerabewegung um so deutlicher registriert und nach ihrem erzählerischen Sinn fragt - was nur sehr bedingt weiterbringt. Für die Schauspieler ist dieser rigide Reigen auch keine leichte Sache. Florian Stetter, eben noch Grafs Schiller, ist nun ein Pater der Pius-Bruderschaft, alert und gnadenlos prinzipientreu, und Franziska Weisz muss sich als verhärmte Terror-Mutter bewähren.
So ganz wird man den Eindruck nicht los, dass diese durchkomponierten Bildstrecken, dass dieser Gestus, den man ebenso gut kühle Strenge wie strenge Kühle nennen könnte, zu der Geschichte nicht so recht passen. Der Kreuzweg als erzählerische Struktur eines Films mag ja eine aparte Idee sein. Doch so, wie Dietrich Brüggemann diesen Leidensweg des jungen Mädchens inszeniert hat, ist der Umschlag in die Karikatur nicht weit. Wie bei Graf ist auch hier die Frage, welchen Ton man findet und welche Form ihren Stoff nicht verformt.