
Berlinale : Die Fastenzeit des Kinos
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Lil Dagover spielte die Liebende, und Bernhard Goetzke, mit einem Kopf wie von Riemenschneider, spielte den Tod, der ihr die Tür in sein Reich öffnet und ihr den Raum mit den Kerzen zeigt, von denen jede für ein Leben steht, das eine Weile brennt und dann erlischt. Die Geschichte geht so, dass der Tod der Frau anbietet, ihr den verstorbenen Geliebten zurückzugeben, wenn es ihr gelingt, wenigstens eines von drei Leben zu retten, die gerade in Gefahr sind - im Reich des Kalifen, im Venedig der Dogen und am Hof des Kaisers von China. Und an jedem der drei Orte ist Lil Dagover die liebende Frau und Walter Janssen, der Darsteller ihres Geliebten, der Mann, um dessen Leben sie kämpft; das gibt dem Film, der sonst zerfasern müsste, seine bezwingende Form. „Der müde Tod“ spielt, von den Kulissen und Kostümen her, im Spätmittelalter, aber eigentlich hat der Film, in dem es in China Elefanten gibt und Bagdad auf einem Hügel liegt, seine ganz eigene Zeit, eine Zeit, die allein der Phantasie Fritz Langs, seiner Filmarchitekten, Kameraleute, Kostüm- und Produktionsdesigner entsprungen ist, einer Tafelrunde von Meistern ihres Fachs, wie es sie im deutschen Kino weder vorher noch nachher je wieder gegeben hat.
Die digitale Kolorierung in Rot-, Blau-, Grün- und Goldtönen ist übrigens historisch ungedeckt - „Der müde Tod“ ist nur in Schwarzweiß erhalten. Aber sie funktioniert. Und auch die Musik von Cornelius Schwehr lehnt sich an keine Originalpartitur an, sie ist reine Neuerfindung, romantizistisch, fast etwas zu süß. Aber ihr gelingt, worauf es bei Filmmusiken ankommt: dass man sie vergisst. Ein Filmfestival ist ja nicht gerade reich an Glücksmomenten. Dieser Abend im Friedrichstadtpalast war das Glück.
Andreas Kilb
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Und ein Besuch bei Cate Blanchett
Um Luft zu holen, ohne sich aus der Welt der bewegten Bilder und ihrer magischen Verwandlungen zu entfernen, braucht man nur Cate Blanchett zu besuchen. Sie erwartet einen im Hamburger Bahnhof, im Museum für Gegenwartskunst, gar nicht so weit vom Potsdamer Platz. In zwölffacher Gestalt, in dreizehn kleinen, sehr genau komponierten Filmen oder Filmszenen, die der Künstler Julian Rosefeldt zu der Installation „Manifesto“ kombiniert hat. Rosefeldt muss ein überzeugender Mensch sein, da es ihm vor zwei Jahren gelungen ist, Cate Blanchett, als sie während der Dreharbeiten zu den „Monuments Men“ in Berlin war, für sein aufwendiges Projekt zu gewinnen. Sie spielt eine Choreographin, eine Nachrichtensprecherin, ist Punk, biedere Hausfrau, Lehrerin, Puppenmacherin; sie spricht dabei rebellische, kämpferische, verstiegene Texte des Futurismus oder Expressionismus, Texte des Situationisten Guy Debord, von Tristan Tzara und Kasimir Malewitsch oder aus dem „Kommunistischen Manifest“ - ach was, sie spricht nicht einfach, sie singt, krächzt, doziert, säuselt, taucht ein in verschiedene Akzente des Englischen, versetzt die radikalen Worte in den Kontext alltäglicher Situationen.
Wenn man durch den dunklen Raum von Leinwand zu Leinwand geht, bleiben die Bilder trennscharf, doch die Töne beginnen, einander zu überlagern. Diese Erfahrung kulminiert in einem Moment, in dem alle Stimmen durcheinanderschwirren: das große Rauschen der rebellischen Ideen, bis man kaum noch etwas versteht und Cate Blanchett einem so polymorph vorkommt wie ein weiblicher Proteus. Einen Mann, einen Penner, spielt sie auch, aber das hat sie ja schon mal gemacht, als sie in „I’m Not There“ einer von sechs Bob Dylans war.
Man muss da weder Großes hineingeheimnissen noch steile Thesen angeblich herausgelesen haben. Es reicht, sich der Wucht und den Widersprüchen dieser Text-Bild-Montage auszusetzen und der Magie einer Schauspielerin zu überlassen. Fraglich, ob man auf der Berlinale mehr Kino bekommen wird. Allenfalls erinnert man sich, weil man ja Freigänger von der Berlinale ist, an den Verdrängungskampf im Wettbewerb, wo zwar 18 Filme gezeigt werden, aber dabei weder aufeinanderprallen noch miteinander sprechen; einander nur begegnen in den Köpfen der Zuschauer, bis am Ende absurderweise ein Sieger ermittelt wird, ohne dass es dafür Regeln gäbe wie im Sport. Und so träumt man auf dem Rückweg zur Berlinale weiter von einem Festival, das es nie geben wird und dessen Motto man bei Che Guevara borgen würde: Schafft ein, zwei, viele Cate Blanchetts!
Peter Körte