Belgischer Sänger Stromae : Tanzen trotz Krise
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Kummerkasten einer sorgenvollen Generation: der Belgier Stromae Bild: AFP
Von den Sorgen dieser Zeit singt keiner wie der Belgier Stromae. In einer Phase der totalen Regression zerstreut er die Zweifel der europäischen Jugend.
Jahrzehnte von Videoclips haben uns an gewisse Standardsituationen gewöhnt. Wenn dort ein junger, dunkelhäutiger Mann von seiner Welt erzählt und beispielsweise eine Begegnung mit Polizisten geschildert wird, dann hat man so eine Vorahnung, wie das wohl aussehen und ausgehen wird: Missverständnisse, Eskalation, Gewalt - die Welt der ganz schnellen, ganz harten Jungs.
Bei Stromae ist das eine ganz andere Geschichte: Der Sänger torkelt zu Beginn des Clips von „Formidable“ schwer angeschlagen über einen Platz der Brüsseler Innenstadt und singt. Als ihn endlich die Polizisten ansprechen, klingt das ganz aufmerksam, leicht ironisch. Sie nennen ihn beim Künstlernamen, dem verkehrten Maestro, und fragen: „Hast du eine harte Nacht gehabt? Sollen wir dich nach Hause fahren?“ Ihre Stimmen klingen sympathisch, er hingegen völlig fertig. Sie wünschen ihm dann mehr als nur viel Glück, sie rufen: „Courage!“ Und er kann es gut brauchen. Im Lied und im Clip kann der Dichter die Hilfe nicht annehmen; aber mit dem Getto, mit dem ganzen goldbehängten Gangsta-Muster hat das rein gar nichts zu tun. Er leidet, untermalt von einer schlichten, eleganten und sehr eingängigen Melodie, an Liebeskummer und somit an der ganzen Welt.
Es ist das älteste Motiv und etwas ganz Neues. Stromaes Chansons passen in kein Genre, transzendieren die kulturellen Grenzen und die dazu gehörenden Geschlechter-Stereotypen. In „Tous les mêmes“ spielt er eine Person des dritten Geschlechts, die an einem Mann verzweifelt, der sich nicht bekennen mag. Dabei meckert Stromae herzerfrischend und ziemlich überzeugend über den Mann an sich und das Altern, er trifft den Ton perfekt - man fühlt sich an Mollys Monolog am Ende des „Ulysses“ erinnert.
Wir können nicht oft so etwas Neues begrüßen. Der umgekehrte Blick, der ins Auge fasst, was mal überragend neu war und nun längst vergangen ist, fällt uns leichter. Ungleich komplizierter ist es innezuhalten, wenn im Strom der marktgängigen Hits mal einer darunter ist, dessen besondere Qualität ihn, wenn wir Glück haben, zu einem Zeichen der Zeit machen könnte. So war das mit „Papaoutai“, Stromaes intensivem Lied über abwesende Väter mit der schmerzhaft treffenden Zeile „Jeder weiß, wie man Babys macht, wie aber macht man einen Vater?“ Im Clip dazu sah man Stromae als leicht debile, leicht gruselige Wachsfigurenkabinettpuppe seiner selbst, einigermaßen hilflos den wütenden Anklagen seines kleinen Sohnes ausgesetzt.
Feiern als trostlose Angelegenheit
Er erzählt seit seinem ersten großen Hit „Alors on danse“ von unserem Leben heute, von der Schwierigkeit, Familien zusammenzuhalten und gleichzeitig in einer ewig optimierten, ewig brüchigen Arbeitswelt zu bestehen. In diesem, seinem ersten wirklich erfolgreichen Clip ist das Feiern eine wahnsinnig triste Angelegenheit, der Tanz und alles andere sind bloß die feierabendliche Affirmation der am Tage in der Firma herrschenden, entfremdenden Verhältnisse.
Stromae ist gefällig vertonte Frankfurter Schule! Er kritisiert damit die ihm sozial zugedachte Rolle des frischen Sorgenzerstreuers einer zunehmend skeptischen und oft zu Recht besorgten europäischen Jugend, ohne so ganz aus dieser Rolle zu fallen. Es ist bei ihm eben alles leicht verdreht, wie schon sein Name. Wenn Stromae in seinen originellen und ansprechenden Liedern von den Sorgen der Leute heute erzählt und im Ton einer abgeklärten Großmutter feststellt, dass die Probleme immer in Gesellschaft kommen, dann ist das trotz der bedrückenden Sujets dennoch irgendwie eine gute Nachricht, und man merkt den Unterschied, wenn das irgendwo im Radio läuft.
Es werden sicher bald schon Seminare abgehalten werden, um die genauen kulturellen Bezüge, die biographischen Quellen dieser verblüffenden Chansons zu ergründen. Aber das muss uns heute noch nicht kümmern. Es reicht, auf diesen in einer Zeit der totalen Regression erstaunlich erwachsenen Künstler hinzuweisen und sich schlicht zu freuen, wie er da so ratlos singend im frühmorgendlichen belgischen Nieselregen aus der U-Bahn-Station hinaufstolpert. Das passt doch ganz gut zu unserem Leben heute.