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Hans Magnus Enzensberger : Hätte er doch unseren WM-Auftritt organisiert!

Hans Magnus Enzensberger, der sowohl ein scharfer Denker war als auch ein brillanter Poet und ­einflussreicher Essayist, blieb selbst bei den schwierigsten und heikelsten Themen locker. Bild: Barbara Klemm

Jetzt ruht er im Allgäu bei Eltern und Geschwistern: Wie ein großer, witziger, bescheidener deutscher Intellektueller zu Grabe getragen wurde.

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          Er hieß „der Große“. Aber er führte sich nicht wie einer auf. Gleich nach seinem Tod kam eine E-Mail mit einer Stimme aus Neuseeland: „Man hatte einen vorlauten, kritischen deutschen Gast erwartet, und dann kommt dieser bescheidene, witzige Gentleman. Bescheiden, witzig, selbstbewusst und klug, alles in einem. Da waren wir Neuseeländer doch sehr überrascht über euch Deutsche.“

          Leider konnte Hans Ma­gnus Enzensberger nicht auch noch unseren WM-Auftritt in Qatar organisieren, vielleicht wären wir dann noch im Turnier. Dafür trug sein Begräbnis in Kaufbeuren seine Handschrift – und die seiner Frau Katharina. Kurze Lesungen aus seinen Werken durch seine Töchter. Erinnerungen seines jüngsten Bruders Ulrich, des einzigen, der noch bleibt. Und die Geschichte der Sonnenfinsternis von Christoph Ransmayr, die gestern in diesem Feuilleton zu lesen war.

          Magnus liebte diese Musik

          Es fror der Pfarrer. Es froren die Gäste. Es fror auch das Tiroler Musikensemble Franui, das Magnus’ letzten öffent­lichen Auftritt in Schloss Elmau be­gleitet hat – und das schon mit Geige, Klarinette, Trompete, Ventilposaune und Bass an der Grube musizierte, als unser Zug sich an der Friedhofskapelle in Bewegung setzte.

          Der Name „Franui“ bezeichnet eine Almwiese in Innervillgraten (Osttirol), und Magnus liebte die Musik dieser zehnköpfigen „Musicbanda“. Wer ihre Versionen von Mahler-, Schubert- und Brahms-Liedern kennt, wird ahnen, warum. Selbst ihre Trauermärsche, die wir zunächst nur aus der Ferne hörten, haben einen Drall ins Schräge, Witzige, tröstlich Irdische. Ihr trauert, sagte uns die Musik, der wir frierend entgegenzogen – wir blasen derweil und machen unser Ding. Hört zu!

          Und manchmal mussten wir lächeln, wie Magnus es sicherlich gewollt hätte. Natürlich hat er auch sein Begräbnis schon poetisch vorweggenommen. „Für den Fall des Falles ist damit zu rechnen“, heißt es in seinem späten Gedicht „Anteilnahme“, „dass sich mehrere Leute mit dir beschäftigen müssen . . .“ Und dann folgen Arzt, Pathologe, Sargträger, Totengräber und „womöglich ein Kranzschleifendrucker / und eine Blaskapelle“ – und das ist Franui.

          Er ruht neben seinen Eltern

          Jetzt ruht Magnus in Kaufbeuren, gleich neben seinen El­tern, auf die er im Mai 2008, genau am selben Ort, eine der schönsten Reden hielt, die man sich vorstellen kann, darin die Sätze: „Mir jedenfalls haben meine Eltern gefallen. Nie im Leben habe ich mir andere gewünscht. Alles Mögliche habe ich ihnen zu verdanken. Nur das, was mir an Schlimmem zugestoßen ist, habe ich mir selber eingebrockt.“

          Am Abend dann treffen sich alle noch einmal in München, im „Schumann’s“, essen, trinken, erzählen von Magnus und magnusbezogenen Dingen, Reden gibt es nicht, und der eine oder andere wird gedacht haben: Das hätte ihm gefallen! Oder: Hätte er das doch noch erleben können! Wahrscheinlicher aber ist, dass HME es sich lieber aus der Ferne angeschaut hätte, lächelnd, sich das Seine denkend. Gefreut hätte er sich darüber, dass es allen schmeckte. Ihm selbst dürfte gereicht haben, was auf dem witzigen Trauerkranz vom „Schumann’s“ stand, gleich neben den Kränzen des Bundespräsidenten und des Suhrkamp-Verlags: „Du bist immer willkommen.“ Ob er die Ein­ladung wahrnehmen wird? Sicher ist nur: Er lässt uns besser zurück, als wir ohne ihn jemals hätten werden können.

          Paul Ingendaay
          Europa-Korrespondent des Feuilletons in Berlin.

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