Ausstellung : „Shopping“ frustriert Konsumgelüste
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Max Hollein sorgt in der Frankfurter Schirn mit „Shopping“ für Kaufhausgedrängel. Der Museumsdirektor konfrontiert Kunst und Konsum.
Es ist ein Verdruss. Man möchte konsumieren, aber man kann nicht. Um nichts in der Welt darf man sich an den Glückskleedosen, den Weinregalen, den Medizinfläschchen und strassbesetzten Schuhen bedienen, die seit diesem Wochenende in der Schirn-Kunsthalle in Frankfurt in einer üppig bestückten Ausstellung zu sehen sind.
Was im Alltag befriedigt, ist im White-Cube verboten. „Shopping“ stoppt Kaufreflexe. „Shopping“ frustriert. „Shopping“ lässt das Alltägliche in grellem Licht erscheinen: Zur Erhellung und zum Schrecken über sich selbst.
Wo Preise fehlen, schafft Kunst Distanz
In seiner ersten eigenen Ausstellung als Direktor der Frankfurter Schirn hat Max Hollein Fotografien und Installationen aus 100 Jahren zusammengetragen. 70 internationale Künstler wurden eingeladen, die das Phänomen des Massenkonsums reflektieren.
Fast überall fehlen die Preise. Lebensmittel, Genuss- und Luxusartikel werden in der Kunst auf ihre ästhetische Wirkung reduziert. Ladenecken von Claes Oldenburg, Christo oder Damien Hirst hinterfragen Gewohnheiten, Süchte und Sehnsüchte, nicht den Geldwert der Dinge. Und nicht nur hier, auch im „Supermarkt“ von Guillaume Bijl schwebt unser erotisch beflügeltes Verhältnis zum Konsum plötzlich herrenlos im Raum.
Der Kunstkonsument muss sein anderes Ich am Eingang zurücklassen. Das Raubtierhafte, das im Alltag nach Schnäppchen jagd und gewöhnlich voll Ungeduld die Körbe füllt, muss draußen bleiben. Gesittet schlendert der Ausstellungsbesucher durch den „Supermarkt“, den der Belgier Bijl eins zu eins mit Unterstützung von Tengelmann aufgebaut hat. Souverän lässt er Pralinen, Obst und Gemüse, Schnaps, Champagner und andere Köstlichkeiten im Regal. Und nicht nur dies: Er freut sich an den knackigen Produkten, er bewundert die nie gesehene Perfektion eines voll bestückten Lebensmarktes und er ertappt sich doch bei dem Gedanken zuzupacken, einzupacken, mitzunehmen was er brauchen kann.
Rausch und Ernüchterung
Die angelernten Instinkte unserer westlichen Konsumgesellschaft müssen ausnahmsweise einmal unterdrückt werden. So schafft die Ausstellung, die mit Fotografien geordneter Auslagen von Eugéne Atget aus dem Jahr 1902 anhebt und mit Bildern ebensolcher Auslagen von Andreas Gursky 2001 endet, den Ausnahmezustand. Statt im flüchtigen Glück des potenten Kunden zu glänzen, hat der Betrachter endlich einmal Zeit zu reflektieren, Werbetafeln zu lesen, Auslagen auf ihre Authentizität zu prüfen und über das breite Angebot eines alltäglichen Supermarktes ganz einfach ins Staunen zu geraten.
Auf unterschwellige Weise legt die Ausstellung nicht nur den Oberflächenrausch des Publikums bloß, sie dechiffriert auch das ambivalente Verhältnis der Künstler zum Konsum. Denn sie betrachten, weil sie nicht kaufen wollen oder weil sie nicht kaufen können. Sie schaffen Werke, die Distanz zum Konsum herstellen und leben zugleich davon, dass eben diese Werke konsumiert werden. Der Ekel vor massenhaftem Überkonsum ist zugleich höchster Genuss. Gift und Heilung liegen nicht nur in den Medizinschränken von Damien Hirst als Metapher unserer Zeit eng beieinander.