
Klengels Klänge
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Sommertagstraum: beim Konzert zu Ehren von Julius Klengel. Bild: Andreas Platthaus
Abseits des Festivaltrubels um Bach und Wagner: Auf dem Leipziger Südfriedhof wird ein Cellist des Gewandhausorchesters postum gefeiert.
Am Vorabend beim Bachfest das Wohltemperierte Klavier, Teil 1, am Nachmittag das Wohltemperierte Klavier, Teil 2, dazwischen eine hochtemperierte Stadt, doch auf dem Leipziger Südfriedhof ist es am Vormittag noch angenehm kühl zwischen den hohen Bäumen und abgeblühten Rhododendren. Vier Cellisten des Gewandhausorchesters spielen sich mit einer Serenade ein, hinter ihnen stehen die aufgeklappten Cellokästen wie Grabkammern nach der Auferstehung.
Es ist immer noch Bachfest und die ganze Innenstadt seit zehn Tagen wie nach langem Schlaf erwacht, flirrend vor Menschen und Sprachen, ein kosmopolitisches Gefühl im Zeichen der Kunst, das man zwei Jahre hier hat entbehren müssen, in denen die Buchmessen und Musikfestivals ausgefallen waren.
Nun sind Letztere zurück, und auf das für Bach, den größten in Leipzig gestorbenen Musiker, folgt eines für Wagner, den größten in Leipzig geborenen Musiker, alle seine Opern in zwei Wochen. Doch auf dem Friedhof erklingen weder Bach noch Wagner. Sie liegen ja auch gar nicht hier dafür aber gleich vier Gewandhauskapellmeister und noch viel mehr Gewandhausmusiker. Zu Ehren eines von diesen, Julius Klengel, haben sich die vier Cellisten auf dem Südfriedhof eingefunden.
Klengel war ihr Vorgänger im Gewandhausorchester für beinahe ein halbes Jahrhundert, bis 1924, und als Lehrer am Konservatorium hat er fast tausend Schüler ausgebildet. Man könnte sagen, dass die halbe Cellowelt des zwanzigsten Jahrhunderts aus Klengels Eleven (und denen seiner Tochter Eva) bestand, und das berühmteste Ensemblestück für sein Instrument hat er auch gleich komponiert: den Hymnus für zwölf Celli, der 1933 bei seiner Bestattung erklang.
Die vor drei Jahren noch von der Einebnung bedrohte Grabstelle samt eindrucksvollem Stein mit Bronzereliefporträt ist jetzt restauriert und wird fortan in die Betreuung der Cellogruppe des Gewandhauses übergehen. Die bewahrt seit 2006 auch Klengels Instrument auf, das der Musiker in der Inflationszeit hatte verkaufen müssen. Doch ausgerechnet der Solocellist, der es mittlerweile im Orchester spielt, fehlt auf dem Friedhof. Und so auch das Cello, auf dem all die heute am Grab musizierten Klengel-Melodien – „Lied ohne Worte“, „Wiegenlied“ und „Serenade“ – komponiert worden sind.
Das wäre bei Bach oder Wagner nicht passiert. Aber neben den diesen beiden Giganten gewidmeten Festivals vierzig Zuhörer für Klengel auf den Südfriedhof zu locken, das zeugt von der Leipziger Liebe für die Musiktradition der Stadt. So wird sie weiterleben, sogar auf dem Friedhof.