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Frauen in der Architektur : Bauen Frauen anders?

Muss noch wiederentdeckt werden: Renée Gailhoustet, Architektin. Bild: Valerie Sadoun

Architektinnen werden schlechter bezahlt und schneller vergessen – auch wenn sie wie Renée Gailhoustet Wegweisendes geschaffen haben.

          5 Min.

          In der Architekturszene ist ein Streit entbrannt: Seit die vielfach preisgekrönte Architektin Dorte Mandrup eine Polemik veröffentlichte, in der sie erklärte, sie sei es leid, immer als „female architect“ eingeführt zu werden – und als solche Preise zu bekommen, als ob sie einer anderen Spezies angehöre, die erstaunlicherweise auch ganz annehmbare Architektur mache, fast so wie die echten und eben meistens männlichen Architekten – seitdem vergeht keine Woche, in der nicht eine Reaktion, ablehnend oder unterstützend, veröffentlicht wird.

          Niklas Maak
          Redakteur im Feuilleton.

          Die Diskussion um die Gleichbehandlung von Architektinnen fällt in eine Zeit, in der ein Google-Mitarbeiter in einem Thesenpapier die Meinung vertritt, Frauen seien biologisch weniger für die erfolgreiche Arbeit in der Tech-Industrie geeignet (siehe Bericht auf dieser Seite), und in der die Zeitschrift „The Architectural Review“ eine Statistik veröffentlicht, die belegt, dass Frauen in Architekturbüros bei gleicher Leistung im Schnitt deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen verdienen. Man muss es nicht überbewerten, dass Frauen im Namen von Architekturbüros, die von Paaren geführt werden, fast immer erst an zweiter Stelle genannt werden (Sauerbruch Hutton, Grüntuch Ernst, Kühn Malvezzi, Heide&von Beckerath und so weiter); aber es ist kaum zu übersehen, dass hier in der Architekturbranche, obwohl weibliche Stars wie die im vergangenen Jahr gestorbene Zaha Hadid oder die Pritzkerpreisträgerin Kazuyo Sejima viel bewirkt haben, vieles im Argen liegt.

          Entwürfe und Bauten Zaha Hadids: Innenansicht des Pekinger Galaxy SOHO. Bilderstrecke
          Zaha Hadid : Die Gebäude der Zaha Hadid

          Lange Zeit war die Architektur Männern vorbehalten; noch im zwanzigsten Jahrhundert wurden Frauen an vielen Universitäten für Architektur nicht oder nur in bestimmten Bereichen der dekorativen Ausstattung zugelassen, als ob die letzten beiden Silben der Berufsbezeichnung „Architektinnen“ ihnen auch gleich den Ort ihrer Anstrengungen zuweisen würden: Die Hülle bauten Männer, und allenfalls das, was „Innen“ ist – Einrichtung, Wandfarbe –, wurde dem Geschmack der Frauen überlassen. Auch Avantgarde-Schulen wie das Bauhaus entkamen dieser Rollenzuweisung kaum, wie man in Theresia Enzensbergers soeben erschienenem eindrucksvollen Roman „Blaupause“ vor Augen geführt bekommt. Architektinnen wie Charlotte Perriand oder Cini Boeri werden auch heute in architekturgeschichtlichen Publikationen vor allem als Möbeldesignerinnen gefeiert, und diese Beschränkung aufs begleitende „Innen“ findet auch bei denen statt, die revolutionäre, den Gang der Architekturgeschichte verändernde Häuser entworfen haben.

          Ein besonders schlagendes Beispiel ist das Werk der 1929 in Algerien geborenen, heute in Paris lebenden Architektin Renée Gailhoustet: Wenn sie überhaupt in Büchern und Artikeln auftaucht, dann entweder als „Mitarbeiterin“ oder „Ehefrau“ des mit Terrassenhäusern bekannt gewordenen Architekten Jean Renaudie. Sie war weder das eine noch das andere – und dass sie aus der Geschichte des modernen Bauens herausgeschwiegen wird, ist umso dramatischer, als das, was sie zeitgleich mit dem kürzlich abgebrannten Londoner Gwenfell-Tower in der Pariser Vorstadt Ivry-sur-Seine baute, ein noch heute zukunftsweisendes Gegenmodell zur funktionalistischen Massenunterbringungsarchitektur der Nachkriegsmoderne ist.

          Das hier ist kein Haus auf dem Land, sondern Massenwohnungsbau in Paris: In Gailhoustets Terrassenhaus gibt es auch im zehnten Stock Gärten.
          Das hier ist kein Haus auf dem Land, sondern Massenwohnungsbau in Paris: In Gailhoustets Terrassenhaus gibt es auch im zehnten Stock Gärten. : Bild: Niklas Maak

          Gailhoustet entwarf damals eine Art Berglandschaft aus begrünten Betonterrassen, die sich über eine Ladenstraße faltet. Im Erdgeschoss dieser Wohnpyramiden gibt es kleine Bibliotheken und Kindergärten, von den öffentlichen Räumen zweigen Gassen und Wege ab. Straßen gibt es nicht, dafür Plätze und Pfade, wie in einem mittelalterlichen Bergdorf. Die Wohnkomplexe mit den Namen Jeanne-Hachette, Casanova und Le Liégat, die hier von 1971 bis 1986 gebaut wurden, sind die entschlossenste moderne Kritik, die in Frankreich am üblichen Massenwohnungsbau der Nachkriegszeit formuliert wurde. Alles, was die moderne Stadt abgeschafft hatte, das Nebeneinander von Arbeiten und Wohnen, Plätze, auf denen Kinder gefahrlos spielen können, kleine Gärten, Gemeinschaftsräume für Nachbarschaftlichkeit, kleine Läden, war wieder da. Der Komplex besteht aus mehreren Bauten, die von mehreren Architekten entworfen wurden. Jean Renaudie wurde mit seiner Version der begrünten Wohnpyramide berühmt. Gailhoustet ist, obwohl man sie zu den bedeutendsten Vertretern einer kritischen Moderne rechnen muss, heute vollkommen unbekannt. Sie taucht nicht einmal in den ohnehin sehr kurzen Listen französischer Architektinnen des zwanzigsten Jahrhunderts auf. Dabei waren es vor allem Frauen, die Ivry zu einem der interessantesten Orte der französischen Moderne machten – die Leiterin des Amts für sozialen Wohnungsbau, Raymonde Laluque, etwa, die früh die Trostlosigkeit der grauen Sozialbaukisten der Nachkriegsjahre kritisierte und eine neue Architektur verlangte.

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