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Antiterrordatei : Wenn alle Daten fließen

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Aus dem Projekt  „Architecture of Authority“ des amerikanischen Fotografen Richard Ross

Aus dem Projekt „Architecture of Authority“ des amerikanischen Fotografen Richard Ross Bild: Richard Ross/Anzenberger

Antiterrordatei, das klingt vernünftig - und ist der Versuch, auf der Basis einer speziellen Software die Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten auszuhebeln.

          6 Min.

          In deutschen Geheimdiensten und Polizeien vollzieht sich seit einigen Jahren eine stille Revolution, die von Fahndern und ihren Behördenleitern nicht gern im Licht der Öffentlichkeit diskutiert wird. Lieber präsentieren sie sich so, wie das Fernsehpublikum sie aus dem Abendkrimi kennt: schuhsohlenverschleißende Kommissare, die sich auf Erfahrung, Psychologie und harte Straßenarbeit verlassen, um knifflige Verbrechen aufzuklären. Computer gibt es in der Fernsehrealität oft nur am Rande, als bessere Schreibmaschine oder, wenn der Drehbuchschreiber modern gesinnt ist, als digitalen Tatort.

          Die Realität ist mittlerweile in einigen Abteilungen der Kriminalämter eine ganz andere. Umfangreiche Datenmengen werden mit Hilfe von für Geheimdienste entwickelter Fahndungssoftware gesammelt, aufbereitet, analysiert, mit anderen Behörden ausgetauscht. Immer mehr Daten werden schon deshalb erfasst, weil man sie nun ohne große Mühen speichern und verarbeiten kann. Wie die jüngst bekannt gewordenen Skandale um die sogenannte Funkzellenabfrage zeigten, bei denen Millionen von Aufenthalts- und Verbindungsdaten erfasst, analysiert und wie selbstverständlich aufbewahrt wurden, gibt es keine Hemmungen mehr.

          Ein auf den ersten Blick unüberschaubares Gewirr an nationalen und internationalen Dateien, Datenbanken und Analysesystemen hat Einzug gehalten. Und wie so oft im Strafverfolgungsalltag, wo in erster Linie der Erfolg zählt und Datenschutzbedenken eher als ärgerliches Arbeitshindernis gesehen werden, hechelt die gesetzliche Regulierung der Realität hinterher. Was jetzt in den polizeilichen Amtsstuben passiert, ist bei den Geheimdiensten schon vor vielen Jahren Alltag geworden. Die Art des Arbeitens hat sich grundlegend geändert.

          Alles mit allem verknüpfen

          Alles, was irgendwie digitalisierbar ist, von Namen, Orten und Adressen, Telefonnummern, Kontakten, Autodaten, Bankkonten bis hin zu abgehörten E-Mails, Telefonaten und Agentenberichten, wird in umfassenden Datenbanken erfasst. Nachdem die Amerikaner die Ursache für das Versagen ihrer Dienste bei der Verhinderung der Anschläge vom 11. September primär in der ungenügenden Auswertung und Vernetzung der in den verschiedenen Diensten vorhandenen Daten ausmachten, sind für die Anbieter von spezialisierter Geheimdienst-Software goldene Zeiten angebrochen. Das Ziel: alles mit allem verknüpfen.

          Zum Jahrestag der Tötung Usama Bin Ladins werden die Autoren der atemlosen Berichte über die kombinierte Geheimdienst- und Sonderkommando-Aktion nicht müde zu betonen, wie wichtig für den Erfolg der umfangreiche, grenzenlose und reibungsfreie Austausch von allen nur erdenklichen Datenschnipseln gewesen sei. Gern ist die Rede vom sogenannten „pocket litter“, also von Daten, die teilweise aus den Tascheninhalten von bei nächtlichen Hausstürmungen gefangenen oder getöteten Verdächtigen gewonnen werden.

          Möglichst schnell sollen die Schnipsel digitalisiert werden, um sie in Beziehung zu den bereits gespeicherten Daten zu setzen und im besten Fall die Sturmtruppen gleich zum nächsten Ziel weiterfliegen zu lassen. Dass alle, denen von den maskierten Spezialkommandos in Pakistan, Afghanistan, Jemen, Somalia oder Mali die Tür eingetreten wird, tatsächlich Al-Qaida-Terroristen sind, glauben wohl nicht einmal die Architekten dieser Strategie. Aus Gründen der moralischen Rechtfertigung wird einfach definiert, dass jeder, der am Einschlagsort einer Rakete getötet wurde, mindestens ein Taliban war.

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