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Antideutsche Stimmung in Italien : Ihr müsst euch ändern

  • -Aktualisiert am

Ob sie wiederkehren? Angela Merkel und ihr Ehemann Joachim Sauer werden von ihrem Urlaubsland nicht sehr herzlich in Empfang genommen Bild: REUTERS

In Italien wächst die antideutsche Stimmung. Kanzlerin Merkel bekommt es bei ihrem Ischia-Urlaub in einer dubiosen Videobotschaft zu spüren.

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          Benvenuto in Italia! Wie gern hören deutsche Gäste doch den Willkommensgruß ihrer italienischen Freunde; schließlich lieben Tedeschi seit Jahrhunderten dieses gesegnete Land. In der Tradition von Kaisern des Mittelalters, denen angesichts von Italiens Schätzen, Schönheiten und Sonnenwetter das Herz aufging, pilgert auch die aktuelle deutsche Herrscherin treu in den Süden. Doch die traditionellen Osterferien von Angela Merkel in den Thermalwassern von Ischia waren diesmal nicht nur getrübt von ungewohnt kühlem Nebelwetter, sondern auch von der fühlbaren Kritik am europäischen Partner Deutschland - einer wachsenden Pauschalabneigung, wie sie sich nach den antideutschen Exzessen in Hellas nun auch in Italien breitmacht.

          Zur Begrüßung des prominenten Badegastes stellte Stefano Caldoro, Präsident der Region Kampanien, ein bemerkenswertes Video ins Internet, „um der Kanzlerin Merkel meine Begrüßung auszurichten“. Untertitelt in einem charmanten, fast perfekten Deutsch schwingt sich der Parteifreund von Silvio Berlusconi darin zum Ratgeber der herzlich willkommen geheißenen Kanzlerin auf: Sie möge doch ihren wohlverdienten Urlaub dazu nutzen, auch „einige schwierige Viertel unserer Region anzuschauen“. Dort nämlich gebe es im Vergleich zu Deutschland eine zehnmal so hohe Arbeitslosenquote bei Jugendlichen. Man befinde sich am Rand des sozialen Bruchs; da sei es Aufgabe von Deutschland als „starkem Land“, die Politik der Strenge und des Sparens zu ändern, um den armen Neapolitanern wieder Hoffnung zu machen. Denn: „Deutschland zieht Vorteile aus der Krise der anderen.“

          Sündenbock verzweifelt gesucht

          Nun könnte die deutsche Kanzlerin, die zu allem Überfluss auch noch im Badeanzug in den Aphrodite-Thermen von Ischia fotografiert wurde, ihr Recht auf Ruhe und einen dezidiert privaten Urlaub ohne Politik einfordern. Dass sie sich anders als italienische Drittrangminister nicht mit dem Hubschrauber auf die Insel bringen ließ, sondern geduldig die Fähre nahm, dass sie einen gekündigten Koch ihres Lieblingshotels aus alter Freundschaft zum Mittagessen bei ihm zu Hause besuchte - das sind Gesten, die Italiener von der mächtigsten Frau der Welt nicht erwarten. Was sie hingegen erwarten, schrieb ihr Regionspräsident Caldoro ins Stammbuch: „Vor allem Deutschland muss auf die Krise reagieren.“

          Nun ist dieser Politiker nicht irgendwer. Seit Jugendzeiten arbeitete er prominent in der legendären Versager- und Verschwenderpartei der Sozialisten, deren Patron Bettino Craxi einst mit Millionenvermögen nach Tunesien vor der Strafverfolgung auswich. Caldoros Ziehvater Gianni De Michelis war nicht nur für seine ausschweifenden Diskothekenpartys und Hotelzechen (oft mit unbeglichenen Rechnungen) bekannt, sondern wurde auch rechtskräftig wegen Korruption zu insgesamt zwei Jahren Gefängnis verurteilt, die er aber nicht absitzen musste. Und Caldoros aktueller Politpatron Berlusconi unternimmt derzeit alles, um bei einer allfälligen Regierungsbildung der Strafverfolgung zu entkommen. Während die Jugendarbeitslosigkeit abermals erschreckend gestiegen ist, gefällt sich die weiter versagende Elite der Politiker in den üblichen Hinterzimmergeplänkeln und steuert frohgemut auf den Abgrund zu. Wie gut, dass es Deutschland als Sündenbock gibt!

          Ablenkungsmanöver vom eigenen Versagen

          Wer wie Stefano Caldoro für Berlusconis Absahner arbeitet, wer über Jahrzehnte glänzend an der überteuerten italienischen Postenwirtschaft verdient hat und wer die frappant deutschfeindlichen Ausfälle Berlusconis im letzten Wahlkampf mitgetragen hat, dem fällt es jetzt natürlich leicht, über den Feriengast Angela Merkel elegant zu Gericht zu sitzen. „Vergessen Sie die Menschen in Schwierigkeiten nicht!“ Hinzuzufügen wäre: Wenn italienische Politiker sich schon um nichts kümmern...

          Im „surrealen Ende meiner Amtszeit“, so der scheidende Staatspräsident Napolitano, und bei kompletter Unregierbarkeit des ökonomischen Krisenlandes Italien sollen, nachdem die politische Klasse wie gewohnt versagt hat, nun „zehn Weise“ - allesamt alte Herren des Systems - eine wenigstens ansatzweise Regierungsmehrheit oder immerhin ein neues Wahlrecht sondieren. Von den lange versprochenen Sparmaßnahmen an den überbezahlten Berufspolitikern - zu schweigen vom luxuriös bestallten Regionspräsidenten von Kampanien - ist dabei natürlich überhaupt keine Rede mehr.

          Ob Angela Merkel nach den klimatischen und menschlichen Enttäuschungen dieses Frühlings wieder nach Ischia zurückkehrt? Das ist natürlich ihre Privatsache. Auf die Videobotschaft des gastgebenden Politikers hat sie wie üblich nicht reagiert. Doch man darf ruhig das Gebaren von dubiosen Populisten wie Caldoro als das charakterisieren, was es ist: als Unverschämtheit.

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