Anschlag auf französisches Satireblatt : Molotow-Cocktail zum Apéro
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Ein einziges Bild kann viel auslösen, wenn es nur provokant genug ist: Das ist beim aktuellen Titelbild des Satiremagazins „Charlie-Hebdo“ der Fall Bild: dpa
Frankreich hat eine neue Karikaturen-Affäre: Die Redaktion des Satireblatts „Charlie-Hebdo“ wurde wegen einer islamkritischen Ausgabe angegriffen.
Geht der Spuk jetzt wieder los? Fünf Jahre nach den dänischen Mohammed-Karikaturen wurde in der Nacht auf Mittwoch ein Brandanschlag auf die Redaktion von „Charlie-Hebdo“ verübt. Damals hatte die Zeitschrift die Zeichnungen des Anstoßes nachgedruckt und mit satirischen Texten angereichert. Von einem Gericht in Paris war sie von der Anklage der Islamophobie freigesprochen worden. Diesmal wurden die Drohungen gegen die Redaktion in die Tat umgesetzt.
Für die Humoristen des Satiremagazins waren die Wahlen in Tunesien ein gefundenes Fressen. Genauso wie die Ankündigung der siegreichen libyschen Rebellen, sie würden die Scharia zum Gesetz machen. Der Antiklerikalismus ist traditionellerweise einer der Stützpfeiler der französischen Humoristenpresse. Und die Islamisten sind vor allem deshalb eine ganz besonders ergiebige Zielscheibe, weil sie sich aufregen. Der Skandal ist permanent programmiert, die Aufmerksamkeit garantiert. Die Katholiken wurden einst genauso mit geschmacklosem Spott und blasphemischem Hohn überschüttet, und für Papst Benedikt gibt es nach wie vor keinerlei Pardon.
Droh-Kampagne gegen Scharia-Hebdo
Nur im Umgang mit den Juden ist „Charlie-Hebdo“ zurückhaltender. Eine Polemik des Karikaturisten Siné gegen den Sohn von Sarkozy wurde von Chefredakteur Philippe Val wegen „Antisemitismus“ nicht gedruckt. Auch dieser Vorwurf wurde von einem Gericht als falsch eingestuft. Siné verließ die Zeitschrift und gründete ein eigenes Blatt, „Siné Hebdo“, das nach ein paar Monaten wieder eingestellt wurde. Val hingegen wurde zum Chefredakteur des staatlichen Rundfunks ernannt - erstaunlichere Karrieresprünge hat Frankreich selten erlebt. Die Provokationen und Selbstzerfleischung haben die satirische Presse generell geschwächt. „Backchich“ hat sein Erscheinen ebenfalls eingestellt. Aber „Charlie-Hebdo“ hat vom Verschwinden der Rivalen nicht wirklich profitieren können.
Wegen des arbeitsfreien Feiertags Allerheiligen wurde die am Mittwoch in die Verkaufsstellen ausgelieferte Ausgabe vorproduziert. Schon am Wochenende wurde das Titelblatt mit einer ausführlichen Inhaltsangabe über Twitter und Facebook vertrieben. Umgehend begann die Droh-Kampagne gegen das Heft mit dem zweiten Namen „Scharia-Hebdo“.
Allahs Prophet wurde zum Chefredakteur ernannt: „Wer sich nicht totlacht, bekommt hundert Peitschenhiebe.“ Zum Feiern des Wahlsiegs der Islamisten in Tunesien ruft „Charlie-Hebdo“ zum „Halal-Apero“ auf. Er ist eine Anspielung auf die geselligen Veranstaltungen mit Rotwein und Schweinswurst, die fanatische Laizisten und Rechtsextremisten in Pariser Immigrantenvierteln, in denen Muslime freitags auf den Straßen beten, abhalten.
Nichts geht über die Presse- und Meinungsfreiheit
Das Niveau der übrigen Beiträge ist nicht höher. Man hatte schon im Voraus keine Lust, sich damit zu befassen. Doch jetzt kann man sie nicht mehr ignorieren: In der Nacht zum Mittwoch wurde der Halal-Apero mit einem Molotow-Cocktail angereichert. Dieser wurde in die Redaktionsräume geworfen, die völlig ausbrannten. Im Morgengrauen informierte die Polizei Chefredakteur Charb. Er berichtete von großen Zerstörungen, alle Computer seien unbrauchbar. Das Internetportal wurde im Laufe des Tages zweimal von Piraten gehackt. Sie plazierten ein Bild von Mekka mit der Aufschrift „Seid gottverdammt. Wir sind euer Fluch im Cyberspace“. Später wurde der Slogan „Kein Gott, nur Allah“ auf die Seite gesetzt. Die Spuren weisen nach England und in die Türkei.
Die politische Klasse hat umgehend und genauso entschlossen wie nach dem Nachdruck der Mohammed-Karikaturen reagiert. Die Medien räumten dem Attentat mehr Raum ein als der Euro-Krise und der Vergabe der Literaturpreise Goncourt und Renaudot. Regierungschef Fillon und alle Parteien verurteilten den Anschlag ohne Einschränkungen. Innenminister Claude Guéant, der mit der Telefonüberwachung von Journalisten keine Probleme hat, begab sich vor Ort und beschwor die „heilige Presse- und Meinungsfreiheit“. Schon am Vormittag war die Wochenzeitschrift in praktisch allen Kiosken ausverkauft. Für die Herstellung der kommenden Ausgaben hat die Redaktion bei „Libération“ Aufnahme gefunden.