TV-Kritik „Anne Will“ : Wie real ist die Bedrohung?
- -Aktualisiert am
Befürchtet wird eine Zunahme politischer Gewalt: Diskussion über die „Reichsbürger“-Bewegung bei Anne Will Bild: NDR/Wolfgang Borrs
Wird demnächst die halbe Republik vorher eingeweiht sein, wenn die Sicherheitsbehörden einen Schlag gegen Möchtegernumstürzler führen? Die Talkshow „Anne Will“ fragte nach Konsequenzen aus der perfekt in Szene gesetzten Aktion gegen die „Reichsbürger“.
Es wäre nicht verkehrt gewesen, wenn Otto Schily im Studio von „Anne Will“ gesessen hätte, als dort am Sonntagabend über die Frage diskutiert wurde, wie gefährlich die Gruppe von Reichswutbürgern tatsächlich war, die am Mittwoch festgenommen worden ist. Der ehemalige Bundesinnenminister hatte in einem Interview von einer „eher skurrilen Spinner-Truppe“ gesprochen, die nach seinem Eindruck keine reale Bedrohung für Staat und Gesellschaft darstelle. Das, was das Publikum seither über einige der handelnden Personen erfahren hat, war dazu angetan, Schilys Einschätzung zu bestätigen – an der Spitze die Figur eines Hochadeligen in Cordhose, dessen Name zumindest für bürgerliche Ohren einen leicht operettenhaften Klang hat.
So aber waren sich erst einmal alle Politiker unter den Gästen Wills darin einig, dass es sich um eine „sehr ernst zu nehmende Gefahr“ (Bundesinnenministerin Nancy Faeser, SPD, und wortgleich NRW-Innenminister Herbert Reul, CDU, sowie Janine Wissler, Die Linke) gehandelt habe. Reul sagte sinngemäß, es seien Leute dabei gewesen, die wüssten, wie man solche Pläne in die Tat umsetze. Und Faeser verwies auf die Zahl der Einsatzkräfte (3000) und der vollstreckten Haftbefehle (25).
Nun weiß die Ministerin natürlich genau, dass die Ziffern erst einmal nur zeigen, welchen Aufwand der Generalbundesanwalt und seine Kollegen in den Ländern für angemessen hielten. Ob sie das aus rein sachlichen Gründen taten oder die Gelegenheit gekommen sahen, die Wehrhaftigkeit des Staats endlich einmal besonders eindrücklich zu demonstrieren, wird sich wohl niemals klären lassen. Beunruhigend hoch war jedenfalls die Zahl von Eingeweihten unter denjenigen, die aus Sicht der Ermittler eigentlich nicht hätten eingeweiht sein dürfen.
Eine große PR-Aktion?
Unter ihnen befand sich Florian Flade, Mitglied im Rechercheteam von „Süddeutscher Zeitung“, WDR und NDR, das schon in dem Moment mit fertiggestellten Hintergrundberichten aufwarten konnte, als die Razzien begannen. Dieser Umstand hat zu kritischen Nachfragen geführt: Wurden einzelne Medien von der Politik gezielt eingespannt, um das eigene Tun möglichst effektvoll in Szene zu setzen? Wurden durch die Durchstechereien Einsatzbeamte gefährdet, weil auch gewaltbereite Verdächtige davon Wind hätten bekommen können?
Flade reagierte bei „Anne Will“ auf solche Vorhaltungen professionell. Er bestätigte, man habe zwei Wochen vor dem Zugriff gewusst, was kommen würde. Die Informationen habe sein Team aber nicht von Frau Faeser während einer Einladung zum Kaffee erhalten, sondern über langfristig gepflegte Kontakte in die Sicherheitsbehörden. Man sei mit diesen Informationen verantwortungsbewusst umgegangen, was sich auch daran zeige, dass alle Beschuldigten am Mittwoch angetroffen worden seien. Auf diesen Umstand wies auch Faeser hin. Wie Reul wirkte sie jedoch sehr defensiv, als Will danach fragte, wie es zu den Informationslecks kommen konnte und was das für Konsequenzen haben werde. Der Verdacht, dass „die Razzia wirkt wie eine PR-Aktion“, den die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner formuliert hat, wird so nicht aus der Welt geschafft.
Flade nahm damit für sich ein, dass er seinen Scoop nicht überhöhte, indem er die Verschwörung größer gemacht hätte, als sie war. Die weiteren Ermittlungen müssten zeigen, wie konkret die Gefahr gewesen sei. Differenziert auch sein Blick auf die Zusammensetzung des militärischen Arms der Möchtegernumstürzler: aktive Soldaten und Polizisten seien kaum vertreten, vielmehr hätten Sicherheitskräfte im Ruhestand dominiert. Unter diesen gebe es allerdings ein Muster, nämlich die Zugehörigkeit zu Spezialkräften. Bei deren Rekrutierung mehr auf Haltung und historische Bildung zu achten, forderte Flade, aber es war zugleich aus seinen Worten große Skepsis herauszuhören angesichts der Frage, wie das angesichts des Mangels an Bewerbern gelingen könnte.