Neueröffnung der Volksbühne : Hochmut der Gedankenlosigkeit
- -Aktualisiert am
Rote Lippen kann man missen: Aus dem grell geschminkten Mund von Anne Tismer erklingt Becketts minimalistischer Monolog „Nicht Ich“. Bild: dpa
Eine Beleidigung der Zuschauer und Darsteller: Die Neue Volksbühne eröffnet das alte Haupthaus mit „Live-Situationen“ von Tino Sehgal und drei Beckett-Einaktern.
Wären die sogenannten „Volksbühnen“-Besetzer nicht so programmlos und einfältig gewesen, hätten sie sich an der ästhetischen Sache und nicht nur am tagespolitischen Zeichen interessiert gezeigt, dann wäre jetzt der richtige Moment gekommen, um auf ihre Seite zu wechseln. Jetzt, nach der sogenannten Eröffnung der neuen Volksbühne, dem ersten Premierenabend im alten Haupthaus am Rosa-Luxemburg-Platz unter der Leitung von Chris Dercon. Was hier passierte, war nichts anderes als eine Veralberung des Publikums. Als wolle der Intendant seine Kritiker vorführen, indem er es geradewegs darauf anlegt, jedes ihrer Vorurteile zu bestätigen.
Um Viertel nach sechs soll man da sein an diesem Abend, es regnet in Strömen. Lang hatte man auf das Wiedersehen mit dem traditionsreichen Haus warten müssen, denn bisher hatte die neue Leitung ihr Eröffnungsprogramm in unübersichtlichen Außenstellen wie dem Flughafen Tempelhof und im Hangar 5 präsentiert. Jetzt also das erste Mal wieder richtige Volksbühne – das Foyer ist hell erleuchtet, die Holzvertäfelung glänzt, die neu verlegten türkisen und roten Teppichböden sind penibel gesaugt. Um halb sieben beginnt das Licht zu zucken, und musikalische Loops von Ari Benjamin Meyers werden eingespielt, gegen zehn nach sieben werden widerwillig die Saaltüren geöffnet. Große Erwartung liegt in der Luft, alles drängelt hinein, sucht sich einen Platz auf dem stuhllosen Treppenboden und schaut gespannt in die Leere. Dann geht auch hier das Licht aus, die Musik wird lauter, ein paar Scheinwerferspots rasen die Wand entlang, irgendein Podest fährt kurz aus dem Bühnenboden und der massive Kronleuchter wird langsam heruntergelassen. Nach acht Minuten Licht- und Technikshow, gehen die Saallichter wieder an und geben dem verdutzten Publikum zu verstehen, dass jetzt von ihm ein Raumwechsel erwartet werde.
Ein sterbenslangweiliger Limbo
Das ist Dercons Ernst? Dass er das Theater wirklich wie ein Museum nutzen will, in dem man von Raum zu Raum wandelt, frei flottierend, ohne Konzentration, beiläufig vorbei an einem Nullprogramm ohne Anfang und Ende. Genau darum scheint es dem neuen Intendanten zu gehen, den Berlinern mit größtmöglicher Arroganz deutlich zu machen: jetzt erst recht. Wenn ihr mich für mein avantgardistisches Kunstverständnis kritisiert, mir eure hergebrachten Erwartungen an ein Theater zumutet, dann lasse ich euch zur Strafe umso länger in der Performancehölle braten. Nur, dass es gar keine Hölle, nicht mal ein Fegefeuerchen ist, in dem man hier herumsteht. Sondern nur ein sterbenslangweiliger Limbo.
Der auch sonst überall sein Werk recycelnde Künstler Tino Sehgal hat erlaubt, dass ein paar seiner früheren „Live-Situationen“ in den Seitenfoyers stattfinden dürfen. Zwei Jugendliche tun so, als wären sie Avatare und geben auf Englisch vermeintlich Kapitalismuskritik zum Besten, die allerdings im allgemeinen Pausenstimmungs-Stimmengewirr völlig untergeht. Da können einige Verteidiger des hergebrachten Verhaltens noch so oft „psst“ und „Ruhe“ zischen, die Mehrheit sieht sowieso nichts und holt sich folgerichtig lieber ein Bier.
Im Sternfoyer wird einem unterdessen die Erstattung von zwanzig Prozent des Eintrittspreises angeboten, wenn man seine Meinung zur Marktwirtschaft kundtut, Videoinstallationen von Philippe Parreno und Pierre Huyghe laufen im Hintergrund, ebenso wie zwei komplizierte Fernsehstücke von Samuel Beckett, die man sich aber besser in aller Ruhe auf Youtube anschaut. Nichts auch nur annähernd Interessantes ist sonst zu sehen, und so steht man mehr als eine weitere Stunde im Foyer herum und verliert dabei endgültig den letzten Rest Vorschusssympathie. Dercon steht derweil mit dem iPhone am Ohr an der Garderobe und sieht so aus, als hätte er mit alldem gar nichts zu tun.