Amazon und seine Preise : Schlacht ums Buch
- -Aktualisiert am
Der Erfolg von Amazon gründet auf Dumping-Preisen für Kunden und Dumping-Löhnen für die Mitarbeiter. Formiert sich endlich Widerstand gegen den globalen Rabattkrieg des Unternehmens?
Mehr Rabatt war nie: 61 Prozent, 58 oder wenigstens 42 Prozent. Zahlen Sie statt 27,99 nur 12,92 oder statt 28,95 sogar nur 12,04! Nein, es handelt sich nicht um den Sommerschlussverkauf spanischer oder schwedischer Textilsammelstellen, nicht um die Schnäppchenjagd eines Baumarkts oder um die Sonderangebote eines Lebensmitteldiscounters. Es geht um Waren von bleibendem Wert: Bücher.
Denn Amazon unterbietet sich inzwischen sogar selbst. Schon immer waren jene Güter, denen das Unternehmen seinen einst seriösen Anstrich als Online-Buchhändler verdankt, dort günstiger als bei der stationären und bemannten Konkurrenz, doch jetzt treibt Amazon den ohnehin schon gewonnenen Preiskrieg auf die Spitze - jedenfalls in Amerika und Großbritannien, wo die gesegnete Buchpreisbindung das nicht verhindert.
Dennis Johnson beklagt sich
Zum Beispiel kostet Dan Browns „Inferno“, das in Großbritannien die Bestsellerliste anführt, statt regulär 20 nur 8,49 Pfund, reduziert um 55 Prozent. In den Vereinigten Staaten ist Lokalmatador Brown zwar auf Platz 2 des Rankings abgerutscht, schlägt aber dafür statt mit 29,95 bloß mit 11,65 Dollar zu Buche, 61 Prozent unter Ladenpreis. Und J.K. Rowlings als Robert Galbraith geschriebenen Krimi „A Cuckoo’s Calling“ bekommt man in ihrer Heimat zum halben Preis von 8,49 statt 16,99 Pfund, jenseits des Atlantiks immerhin für 15,20 statt 26 Dollar, 42 Prozent billiger.
Dennis Johnson, der charismatische Mitgründer des unabhängigen amerikanischen Verlags Melville House (dessen Bücher Amazon übrigens mit maximal 23 Prozent Rabatt vertreibt), wettert nun in seinem Blog gegen diese Ausweitung der Preiskampfzone, die er beflügelt sieht von der jüngsten Entscheidung eines New Yorker Gerichts gegen Apple und das Agency-Modell bei E-Book-Verkäufen. Dass Amazons Marktmacht nur mit Verlusten zu haben ist, nimmt sogar die Börse in Kauf, die die letzten schlechteren Quartalsergebnisse ungerührt hinnahm.
Vor allem aber ist die amerikanische Regierung offenbar nicht gewillt, die Strategie des Großarbeitgebers zu hinterfragen. So soll Präsident Obama am Dienstag im Amazon-Logistikzentrum in Chattanooga, Tennessee, eine jener Reden halten, mit denen er seine Verheißung von besseren Geschäften für die Mittelschicht unters Volk bringen will.
Dass er dazu ausgerechnet ein Warenlager wählt, in dem weltweit fast hunderttausend Menschen zu Niedriglöhnen für ein Unternehmen schuften, das seine Dominanz der systematischen Diskriminierung von Konkurrenz durch ungebremste Rabattierung erreicht hat, ist mindestens zynisch. Dennis Johnson indes prophezeit, dass Amazon nicht nur preislich einen neuen Tiefpunkt erreicht habe, sondern dass nun auch der Moment da sei, an dem die Buchindustrie Widerstand leisten und die Politik zwingen müsse, ihre eigene Anti-Trust-Gesetzgebung ernst zu nehmen.