Aernout Mik in Essen : Masken der Macht sehen dich an
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Das Folkwang Museum in Essen zeigt Aernout Miks wortlose Filme. Wer die Ausstellung deswegen für nichtssagend hält, irrt. Mik ist der Mann der Stunde.
Was will und kann eigentlich die Kunst in diesen Zeiten, in denen so viel um sie herum zusammenbricht? Die europäische Demokratie, an die wir glaubten, fällt um wie eine Pappfigur, und wer sie stützen will, wie Papandreou, könnte bald darunter liegen. Während die nationalen Regierungen um Kompetenzen und Spielraum ringen, streitet man auch in der Kunst um die eigene Autonomie, um den Zugriff auf die Lage, und fordert gellend Aktionismus.
Wenige können den Anspruch, der da gesucht wird, konkret formulieren, noch seltener sind zeitgenössische Künstler, die ihn auch einlösen, indem sie nicht nur brenzlige Themen abhaken, sondern eine überzeugende formale Sprache finden. Zu ihnen gehört der Niederländer Aernout Mik. Als eine Art visueller Baustellenrebell der Gegenwartskritik bohrt er sich im Sinne von Giorgio Agamben in unsere psychosoziale Verfasstheit hinein; er spürt der Dunkelheit der Lage nach, die ihn beunruhigt.
Große Stille statt vieler Worte
Lange Zeit durfte man sich wundern, wie gleichmütig die reichen Öffentlichkeiten ihre Schieflagen hinnehmen, wie gut wir darin sind, uns immer wieder beruhigen zu lassen. Genau bei diesen Verdrängungsneigungen setzt Aernout Mik an. Er lässt sich von den Alltagsbildern der Medien inspirieren und übersetzt sie in aufwendige Performance mit Schauspielern, die er auf mehrkanaligen Großleinwänden vorführt. Lebensgroß und unmittelbar. Fast immer sind seine Filme stumm, tonlos. Die Dauerschwätzerei medialer Selbstkommentierung ist suspendiert, niemand darf sich mit großen Worten aus der Affäre ziehen.
In seiner Ausstellung im Museum Folkwang in Essen ist es deswegen nahezu still, wie in einer Gemäldegalerie. Er schickt uns zunächst einen langen niedrigen Gang hindurch, an dessen Seiten der eigene Körper wie in einer matten Schaufensterscheibe aufscheint. Dann werden wir direkt in sein Bildermeer gestoßen, umzingelt von meist schon am Boden ansetzenden Riesenbildschirmen.
Auflösungserscheinungen der Gewaltenteilung
Aernout Mik nennt sie Bühnen der Gegenwart; er führt dort die Erfahrung der Realität im Kleid der Fiktion weiter, als es jeder normale Dokumentarfilm schafft. Sein Drei-Kanal-Video „Shifting Sitting“, das in Essen Deutschlandpremiere feiert, zeigt exemplarisch, welche Effekte er warum will. Die Bühne: Ein Gerichtssaal in Rom. Hauptperson: Ein Double von Silvio Berlusconi. Aernout Mik hat für diesen Film Bilder gesammelt von Gerichtsprozessen gegen den italienischen Ministerpräsidenten. Es gibt keine nacherzählbare Handlung, nur das Setting: Berlusconi und seine feinbekleideten Mannen, Zuschauer, Demonstranten, Richter und Journalisten sind im Gerichtsgebäude eingesperrt - von der vordergründig harten Hand der Gerichtsbarkeit eingesammelt. Alles verläuft ruhig, in Stille.
Dann aber sehen wir beispielsweise Berlusconi und seine Komplizen sich stumm lachend und scherzend Räubermasken überziehen, sie posieren, jetzt folgen wir dem Blick des erschöpften Richters in seiner Robe, der nur leer vor sich hinstarrt; die Zuschauer brüllen, doch wir hören sie nicht, sie setzen sich wie Belagerer um den Zeugenstand, wo Berlusconi väterlich einem jungen, verunsicherten Mann an die Schulter fasst. Die Trennung zwischen Politik und Jurisdiktion verschwimmt. Alle Figuren verdichten sich zu einem wabernden Wahnsinn, in dem die Demonstranten ähnlich maskenstarr herumgeistern wie Berlusconi selbst.
Kein Schweiß, keine Tränen, keine Geräusche
Wirkliche Empörung, wirkliche Verzweiflung? Fehlanzeige. Haltung wird immer bewahrt. Denn sie spielen sich alle gegenseitig in die Hände. Je weniger das Geschehen Folgen hat, je besser die Maske Berlusconi dem Treiben standhält, desto unausweichlicher formiert sich die Erkenntnis: Nicht Miks Welt ist eine Bühne, sondern die Realität. Deshalb fehlt es den Figuren an Mimik, an Ausdruck, sie sind wie mechanische Puppen - Schauspieler, die in der Zelle auf und ab laufen, jedoch nicht in der Lage sind einzugreifen. „Shifting Sitting“ weckt Erinnerungen an das berühmte Foto von Obama und seiner Polit-Mannschaft samt Hillary Clinton, das sie angeblich beim Betrachten der Exekution von Usama Bin Ladin zeigt. Inszenierungen dieser Art werden heute ungefragt als Realität aufgefasst. Aernout Mik arbeitet an ihnen wie ein Bildhauer. Seine Filme bringen diese Sozialskulpturen zum Kippen.
Wenn wir nach so viel Politik durch die wunderbare Sammlung des Folkwang Museums flanieren, erschöpft von der Gewalt der nachrichtlichen Wirklichkeit, wenn wir die hier ganz und gar beruhigende Stille der Gemälde der Moderne und Alten Meister genießen, mischt sich Aernout Mik abermals ein. Zwischen Manet und Hodler sitzen Frauen und Männer in Sportklamotten auf dem Boden, ihr Haar vom Wind zerzaust. Sie weinen über alles und nichts, das ist sofort klar, auch wenn keine Tränen fließen und wir keine Geräusche hören. Der Titel des Films „3 Laughing and 4 crying“ verrät, welcher Gefühlsausbruch gemeint ist. Diese Sportler schwitzen nicht, die Szene bleibt bei aller Emotionalität völlig neutral.
Das Folkwang Museum in Essen ist berühmt, weil es Impressionisten und Expressionisten in Deutschland ein Denkmal setzte. Die Ausstellung zeigt die dramatische Stunde an, die es für unsere Wahrnehmung geschlagen hat. Aernout Mik zielt nicht auf Eindruck, Impression, und nur nebenbei auf Ausdruck, Expression, sondern behandelt die Lage, indem er uns darauf stößt, wie wir sie zu sehen gewohnt sind, eine kritische Selbstbesinnung einfordert. Wirkung hat er, weil er sich nicht mit den herkömmlichen Wirkungsweisen von Medien und Kunst abfindet. Das ist kein Engagementskitsch, das ist Revolte.