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1Live-Chef Jochen Rausch : Eigentlich wollte ich Rockstar werden

  • -Aktualisiert am

Orientierung boten keineswegs andere Sender. „Wir haben uns“, sagt Rausch, „oft so verhalten, wie sich eine erfolgreiche Band verhalten würde.“ Man musste sich erneuern, ohne das Publikum zu enttäuschen. Die größte Neuerung in der 1Live-Bandgeschichte sei übrigens nicht die Verabschiedung des Einzelsendungskonzepts zugunsten einer quasi durchgängigen Hörstrecke im Jahre 2000 gewesen, auch nicht der teils wieder entgegenlaufende Wandel von „1Live ist der Star“ zu „Die Moderatoren sind unsere Stars“ im Jahr 2007, sondern die Umstellung auf weitgehenden Livebetrieb vor knapp neun Jahren. Selbst Reportagen haben seither meist die Form von Gesprächen mit dem Moderator.

Zurück ins Analoge

Rausch weiß, dass die Medienkonvergenz, so viele Chancen sie auch eröffnet, zu einer neuen Konkurrenzsituation jenseits des UKW-Reichs führt. „Sauschwer, aber unerlässlich“ sei es, sich als Marke im Netz zu erhalten. Wie bleibt man der beste Freund des Publikums? Das Zauberwort lautet bekanntlich „Community“, und nur wenige Medien sind in der Nutzerbindung qua Gemeinschaftsgefühl so erfolgreich wie 1Live. Stets wird der Kontakt mit den Hörern gesucht, es gibt Singlebörsen und 1Live-Wohnzimmer-Partys. Auch die Kulturberichterstattung ist weniger kritisch-distanziert als emotional-identifikatorisch: So stellen junge Autoren ihre Werke vor Publikum vor.

Als Erlebnisdienstleister ist man nicht mehr im alten Sinne Medium zwischen Ereignis und Publikum, sondern stellt auratische Ereignisse wie die Preis- und Konzertveranstaltung „1Live Krone“ selbst her. Auch die beliebten „O-Ton-Charts“ - von Hörern bewertete, lustige Versprecher - ziehen künftig als Show durch Stadthallen, und die Karten gehen weg wie geschnitten Brot. Alle Möglichkeiten des Virtuellen nutzen und das Netz doch zugleich erden, echte Menschen in echten Räumen zusammenführen, damit scheint man die Bedürfnisse der Generation Internet zu treffen.

Trotz Comedy-Mühlrads

Eine derart populäre Welle würde wohl auch als Privatsender funktionieren - dann betriebe man vielleicht Clubs oder eine Konzertagentur, sagt Rausch -, aber vermutlich fehlte einem gewinnabhängigen Privatsender der Mut, Neues auszuprobieren. Auch hätte ein Privatsender anders als der WDR das Kirchen-Satire-Video inklusive Kruzifixablecken, das Carolin Kebekus für ein von 1Live initiiertes Fernsehprojekt produziert hat, vermutlich einfach gesendet. Der WDR „hätte mit einer Ausstrahlung des Videos nach Einschätzung seiner Juristen gegen das WDR-Gesetz verstoßen, das die Rücksichtnahme auf die religiösen Gefühle der Bevölkerung verlangt“, sagt Rausch. Dies sei nicht mit Zensur zu verwechseln.

Das hat man also davon, dass man sich das Comedy-Mühlrad um den Hals gehängt hat. Und doch muss man anerkennen und jenen Kritikern, die stets auf Hochkultur pochen, entgegenhalten: Dieser Sender hat dem Gebührenrundfunk Millionen Hörer und viel Akzeptanz zurückgeholt, ohne zur reinen Dudelwelle geworden zu sein.

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