19. F.A.Z.-Gourmetvision : Auberginen fast wie Feigen
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Bild: Julia Zimmermann
Die Emanzipation des Gemüses: Aus Beelitzer Spargel, Rote-Bete-Schaum und Fichtensprossen komponiert Michael Hoffmann die neunzehnte Folge der F.A.Z.-Gourmetvision. Jürgen Dollase hat den Koch in seinem Berliner Restaurant „Margaux“ besucht.
Die neunzehnte Folge der F.A.Z.-Gourmetvision ist zum ersten Mal ausschließlich Gemüse und Kräutern gewidmet. In fünf Miniaturen und acht Gängen präsentiert Michael Hoffmann vom Restaurant „Margaux“ in Berlin ein hervorragend ausdifferenziertes Spektrum an Produkten, Zubereitungsarten und Aromenkombinationen, das in seiner schieren kulinarischen Substanz Maßstäbe setzt.
Nach Jahren der Recherche, in denen er ein mittlerweile internationales Renommee als Gemüsespezialist erworben hat, verfügt Hoffmann über eine kulinarische Sprache, die nur bei ihm zu finden ist. Schon bei der ersten Miniatur, „Russisches Ei, Rote Bete & Kümmelkaramell“ genannt, wird klar, wie entwickelt das Verständnis mittlerweile ist. Serviert wird ein Rote-Bete-Schaum in einem Ei, mit einer „polnischen Vinaigrette“ (Schnittlauch, Schalotte, Eierstückchen und Croutons) abgeschmeckt und einem Kümmelkaramell-Plättchen mit marinierter Rote Bete obenauf.
Beim kleinen „Toast Mimosa“ ergeben sensorisch perfekt behandelte Gemüse mit Meerrettichgelee, Wachtelei und Petersilie großes Mundkino. Hinter den „Berliner Löffelerbsen“ verbirgt sich ein Reischip mit einer gelben Erbsencreme, getrockneter Erbsenschale und Melisse. Man merkt: Die Produkte klingen bekannt, die Ergebnisse aber sind höchst originell und demonstrieren, wie sich Traditionelles in der Hand eines zeitgenössischen Spitzenkochs entwickeln kann.
Neue Welten voller Reiz und Beziehungen
Die „gegrillte Wassermelone“ schmilzt mit einem faszinierenden Mix aus Süße und Röstnoten, vermischt sich mit der erdigen Säure von Sauerampferstreifen und endet in der leichten Schärfe von konfiertem Ingwer. Und welche kompositorischen Wege muss man beschritten haben, um einen Akkord wie beim „gebundenen Radieschensaft & Knäckebrot“ zu erfinden? Hier liegt ein Raviolo von Radieschensaft auf einer Art Tatar von Gurke, Radieschen und kandierter Zitrone in einer Jus von Apfel und Meerrettich mit Liebstöckel, begleitet von einem leicht süßen Knäckebrot-Baiser: neue Welten voll direktem Reiz und tiefgründigen Beziehungen.
Mit dem „Salat Escabeche & Vogelmiere“ beginnen die Kreationen mit verschiedenen Elementen, was bei Hoffmann fast immer bedeutet, dass jedes Element eine kreative Ausformung bekommt. Hier sind es ein Gelee von geschmorter und geräucherter Paprika, auf Meersalz gegarte Schalotten mit einer exquisit erdig wirkenden Beigabe von Bohnenstreifen und Bohnenkraut, aromatisch verlängert durch eine auffällig „grün“ und erdig schmeckende Emulsion von Vogelmiere und sensorisch gestaffelt durch ein Eis von der Vogelmiere.
Vermisst man bei diesem Essen die alten Hauptprodukte? Im Gegenteil, man vergisst sie glatt, weil dieses Universum die Sinne mit immer neuen Reizen beschäftigt, und das auf eine sehr überzeugende Weise. Michael Hoffmann hat mittlerweile einen Garten nebst Gärtner außerhalb von Berlin. Das großartige „Havelland“ ist Referenzgericht einer neuartigen Regionalküche, die konsequent ihren Weg zwischen Tradition und Avantgarde sucht. Wir finden hauchdünne Kohlrabirollen mit verblüffend nachhaltigen Fichtensprossen, Würfel von traditionell zubereiteten Kohlrabi, würzige Spitzen vom Beelitzer Spargel, Rhabarberscheiben mit knackigem Kern und kontrollierter Säure, eine aufs originellste verbindende Hefecreme und eine Reihe von Mikrotexturen und -aromen. Eine Essenz von Jahreszeit und Region.
Chancen, die Substanz zu erkennen
Nächster Höhepunkt ist die sensationelle Kombination aus „Mispeln, Algen & gestockter Schafsmilch“ mit einer etwas festeren spanischen Mispelvariante, die mit Algen gegart wird und dabei eine unnachahmliche Mischnote zwischen Süße, Frucht und jodigen Aromen entwickelt. Dazu kommt ein Mispel-Algen-Sud mit kontrastierend kalter Schafsmilch und raschelnd krossen Texturen von getrockneten Algen und getrockneter Milchhaut. Erst jetzt - aber doch sehr geschickt plaziert - serviert Hoffmann die „Frühlingsgemüse - Texturen, Bouillon & Gemüsebrot“, seine schon klassische Versammlung von rund fünfzehn Gemüsesorten plus Blättern und Kräutern in verschiedenen Zubereitungen mit einer Summen-Bouillon und dem Gemüsebrot mit feinen Streifen von Gemüsepürees darauf.
Man wird die Gemüse anders sehen, aufmerksamer, offener, einen neuen Schlüssel und viel mehr Chancen haben, ihre Substanz zu erkennen. „Aubergine, Koriander & Topinambur“ heißt es danach, und wieder geht es grundlegend originell zu. Der Auberginenstreifen ist kandiert und erinnert fast an Feigen, vom Topinambur gibt es ein leicht geräuchertes Püree und vom Koriander eine sehr originell mit Kaffirlimone, Kumin und Sesamöl abgeschmeckte Creme. Mikrotexturen und knackig geschmorte Salatstiele runden sensorisch ab.
Mit „Kartoffelsandwich, Kohlasche und Rübenfond“ gelingt auch ganz selbstverständlich eine Komposition mit Hauptgerichtcharakter. Die Sandwich-Schichtung hat als Basis ein exquisit abgeschmecktes Confit von violetten Kartoffeln und Kräutern. Dazu kommen roh marinierte Kartoffelscheiben, eine cremige Eierstichschicht, ein spektakuläres Esspapier von violetter Kartoffel, eine prächtig verbindende, leicht süßliche Sauce von Rotwein und Rüben und ganz erstaunlich expressiv wirkende Tupfer von Kräutercreme und Kohlasche. Wir erleben die vollständige Emanzipation des Gemüses und des neuen Verständnisses von Regionalität.
Für den Abschluss bleibt Hoffmann beim Milden: „Fenchelblüten, Sellerie &Holunder“ sind eine Komposition mit einer subtilen Balance zwischen Süße und karamellisierten Gemüse- und Kräuterelementen wie Sellerie, Estragon oder Fetter Henne. Natürlich gibt es auch sein berühmtes „Tomaten-Schaumbrot mit kandiertem Gemüse und Parmesan“.