100. Todestag von Mata Hari : Eine Meisterin der Inszenierung
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Ein undatiertes Bild der berühmten Tänzerin und Spionin Mata Hari Bild: dpa
Vor 100 Jahren wurde Mata Hari hingerichtet. In ihren letzten Stunden erkannte sie die Rolle ihres Lebens. Über Spionage als Fortsetzung des Kurtisanentums mit anderen Mitteln.
Man weckt sie im Morgengrauen in ihrer Zelle im Gefängnis Saint-Lazare. Sie kleidet sich sorgfältig an und bittet darum, noch drei Briefe schreiben zu dürfen. Danach wird sie in Begleitung ihres Anwalts und eines Priesters nach Vincennes gebracht, wo ein zwölfköpfiges Erschießungskommando auf sie wartet. Sie verweigert die Augenbinde und schaut den Soldaten, die auf sie anlegen, direkt in die Augen. Vor hundert Jahren, am 15. Oktober 1917, wird Mata Hari, legendäre Tänzerin und verurteilte Spionin, in Frankreich hingerichtet.
Ihre erstaunliche Lebensgeschichte und mehr noch ihr Ende ist nicht nur eine Parabel über den Untergang der exotisch-erotischen Welt der Belle Epoque im Ersten Weltkrieg. Der Mythos von der verführerischen Tänzerin als Spionin ist auch eine Erinnerung an eine Idee von Spionage, die heute – im Zeitalter der Drohnenaufklärung und des glanzlosen, anonymen Geheimnisverrats – geradezu nostalgisch stimmt. Das populäre Nachleben Mata Haris in etlichen Filmen, Musicals, Romanen und Biographien erscheint wie der Traum von einer verlorenen Welt, in der Verrat wenigstens noch den Glanz der Tragik hatte. Aber das war schon 1917 bestenfalls die halbe Wahrheit.
Eine orientalistische Bibliotheksphantasie
Geboren wird Mata Hari 1876 unter dem Namen Margaretha Geertruida Zelle als Tochter eines wohlhabenden Hutmachers in Leeuwarden in Holland. Mit 18 Jahren heiratet sie einen Kolonialoffizier und verbringt einige Jahre in Niederländisch-Ostindien, hauptsächlich in Malang im Osten von Java. Nach ihrer Rückkehr nach Europa trennt sie sich von ihrem trunksüchtigen Mann und geht 1903 als „Lady MacLeod“ nach Paris, ausgestattet mit nichts als einem dunklen Teint und einer guten Figur. Aus der Erinnerung an die javanischen Tänze, die sie als Offiziersgattin gesehen hatte, bastelt sie sich ein kleines Programm, das sie zunächst in Privathäusern vorführt, und gibt sich einen neuen Künstlernamen „Mata Hari“, „Sonne“ auf Malay. Auf einer dieser Soireen sieht der Sammler und Orient-Kenner Émile Guimet sie und lädt sie zu einer exklusiven Aufführung in die Bibliothek seines Museums ein. Dieser erste Auftritt am 13. März 1905 begründet ihren Ruhm.
Das Bemerkenswerte an diesem Anfang ist, dass er auf einer völlig unplausiblen Inszenierung beruht. Ihre Tänze haben ebenso wenig mit javanischem Wayang orang zu tun wie mit vedischem Tanz, als den sie es verkauft. Aber statt sie zu entlarven, rüstet Guimet sie mit Schmuck und Kostümen aus und hält einen Vortrag zur Einführung. Von Anfang an ist Mata Hari keine orientalische Tänzerin, sondern eine orientalistische Bibliotheksphantasie, konstruiert aus Bildzitaten und Klischees. Ihr Tanz selbst ist alles andere als kunstvoll, aber erotisch. Sie legt im Verlauf der Vorführung ihre Schleier ab und steht zuletzt nackt vor den Zuschauern. Zugleich erzählt sie phantastische Geschichten über ihre Herkunft: Mal ist sie die Tochter eines Kolonialoffiziers und einer Javanerin, mal das Kind eines indischen Potentaten von der Malabarküste und der Ersten Bajadere des Tempels, die als Waise dem Tanz geweiht wurde.