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© Dieter Schirg

Eine Insel der Freiheit

Von PROF. DR. JÜRGEN WILKE

16.11.2016 · Gegen Bismarck angeschrieben und schließlich von Hitler verboten: Vor 150 Jahren erschien die erste Ausgabe der „Frankfurter Zeitung“. Viele Traditionen verbinden sie bis heute mit der F.A.Z.

Am 16. November 1866 erschien unter dem Titel „Frankfurter Zeitung und Handelsblatt“ die erste Ausgabe eines Presseorgans, von dem man sich damals schwerlich vorstellen konnte, dass daraus eine der einmal langlebigsten Zeitungen in Deutschland hervorgehen würde. Und eine Zeitung zudem, die zu einer der führenden Stimmen in der deutschen Öffentlichkeit werden sollte, zu einem „Leitmedium“, wie man inzwischen sagt. Heute kann sie – wenn auch über mehrere Umbrüche hinweg – auf eine 150-jährige Geschichte zurückblicken.

Langlebige Zeitungen sind in der Pressegeschichte nicht ungewöhnlich, denn ihren Stoff liefern die aktuellen Ereignisse. Gleichwohl verlangt eine solch dauerhafte Existenz eine erfolgreiche Koordination von journalistischen, technisch-organisatorischen und wirtschaftliche Funktionen.

Fünf politische Systeme hat die „Frankfurter Zeitung“ durchlebt: von der konstitutionellen Monarchie des (Nord-)Deutschen Bundes über das Kaiserreich, die Demokratie der Weimarer Republik, die Diktatur des Dritten Reiches bis zur demokratisch verfassten Bundesrepublik Deutschland. Trotz der dadurch bedingten Veränderungen bewahrte die Zeitung ihre Identität – abzulesen an dem konservativen, lange Zeit so gut wie gleichgebliebenen äußeren Erscheinungsbild mit dem charakteristischen Gebrauch der Fraktur. Zu den Konstanten gehört auch das Gewicht der (finanz-)wirtschaftlichen Komponente, und zwar in der Berichterstattung ebenso wie in kaufmännischer Hinsicht. Seinen Beitrag dazu lieferte stets der Anzeigenteil, dessen Erträge mit Aufschwüngen und Rezessionen wechselten.

© Archiv, Wolfgang Eilmes Titelseiten der Frankfurter Zeitung von 1906 und 1914

Über die Epochen hinweg vertrat die Zeitung eine demokratische Gesinnung bei durchaus individuellen politischen Schattierungen und persönlichen Temperamenten. Personell bestanden beträchtliche Kontinuitäten. Was die Zeitung bot, heißt heute Qualitätsjournalismus. Damit versorgte sie vorzugsweise bestimmte Leserkreise: Unternehmer und Geschäftsleute, unter den Staatsbediensteten vor allem Beamte, im weiteren Sinne das kulturell interessierte Bildungsbürgertum.

Genaugenommen reichen die Wurzeln der Zeitung noch ein Jahrzehnt weiter zurück. Am Anfang stand der 1856 von den Bankiers Heinrich Bernhard Rosenthal (1829–1876) und Leopold Sonnemann (1831–1909) herausgebrachte „Frankfurter Geschäftsbericht“, ein Informationsblatt lediglich für Geschäftsfreunde und Kunden. Nach wenigen Wochen wählten die Herausgeber eine zeitungsähnliche Aufmachung und nannten das Organ „Frankfurter Handelszeitung“. Als Ziel gaben sie an, „vom hiesigen Platz aus täglich die Interessen der Bewohner der deutschen Bundesstaaten, insbesondere aber die der immer zahlreicher werdenden Classe der Actien-Besitzer unparteiisch und sorgsam“ zu vertreten. Insbesondere wollte man die aktuellen Börsenkurse übermitteln.

1859 erfolgte abermals eine Umbenennung in „Neue Frankfurter Zeitung“. Damit verbunden war ein erweitertes, jetzt auch politisches Programm: „Frei und unabhängig“, so hieß es, „dienen wir nur der Sache des Vaterlandes und des entschiedenen Fortschritts.“ Für das technische und organisatorische Fundament sorgte seit dem 1. Januar 1860 die Frankfurter Societäts-Druckerei. An ihr waren außer den beiden Herausgebern noch andere Unternehmer beteiligt. Sie besteht in veränderter Form noch heute.

© Stadt Frankfurt Leopold Sonnemann (1831-1909)

Selbstverständlich war Rosenthals und Sonnemanns Börsenblatt nicht die erste Zeitung, die in der Stadt am Main gedruckt wurde. Die Freie Reichsstadt gehörte zu den Orten im Alten Reich, die im 17. Jahrhundert schon früh eine eigene (Wochen-)Zeitung erhielten. Die hatte zunächst gar keinen Titel und wurde vom Kaiserlichen Postmeister herausgegeben. Über mehrere Titelwechsel hinweg hieß sie dann seit 1754 „Kaiserliche Reichs-Ober-Post-Amts-Zeitung“ (ab 1852 „Frankfurter Postzeitung“). Schon bald wurde eine zweite Zeitung gedruckt. Ausschlaggebend dafür waren die Lage der Stadt an den Nachrichtenwegen in der Mitte des Reiches sowie ihre politische und wirtschaftliche Bedeutung als Handels- und Messestadt. Eine interessierte Leserschaft war offenbar vorhanden, nicht nur in der Stadt selbst, sondern auch anderswo, denn die Zeitungen wurden damals in der Regel überregional verbreitet.

Das Jahr 1866 brachte in Deutschland weitreichende politische Veränderungen mit sich, auch in Frankfurt. Im Krieg gegen Österreich besetzten im Juli preußische Truppen die Stadt. Nach der Annexion büßte sie ihre zuvor herausgehobene Stellung als Sitz des (Groß-)Deutschen Bundes ein. Die „Neue Frankfurter Zeitung“ wurde verboten, weil sie als antipreußisch galt. Das zwang Leopold Sonnemann, nach Stuttgart auszuweichen, wo er ersatzweise seine „Neue Deutsche Zeitung“ herausbrachte. Nach drei Monaten konnte er nach Frankfurt zurückkehren. Statt darauf hinzuwirken, das Verbot seiner alten Zeitung aufzuheben, gründete er jetzt eine neue, ebenjene, die ab dem 16. November 1866 als „Frankfurter Zeitung und Handelsblatt“ erschien. Von hier aus die 150 Jahre ihrer Geschichte zu datieren ist also durchaus angebracht.

Sonnemann gründete die „Frankfurter Zeitung und Handelsblatt“ zu einem günstigen Zeitpunkt. Der 1867 formierte Norddeutsche Bund hatte einen größeren Wirtschaftsraum hergestellt. Fünf Jahre darauf fielen infolge der Reichsgründung die Zoll- und Handelsschranken. Gleichzeitig begann der wirtschaftliche Aufschwung, der im Ausdruck „Gründerzeit“ sprichwörtlich geworden ist. Die Industrialisierung mit dem Aktien- und Börsenhandel wurde zu Schrittmachern der wirtschaftlichen Entwicklung, auch der Stadt Frankfurt. Als technische Neuerung konnte die 1850 für die Öffentlichkeit freigegebene Telegraphie genutzt werden, um Börsenkurse und Depeschen zu übermitteln.

© Ullstein Sitzung des Deutschen Reichstages: Bismarck (Mitte links) und Sonnemann (oben rechts)

Im Kaiserreich entwickelte sich die „Frankfurter Zeitung“ sukzessive auch zur politischen Tageszeitung. Leopold Sonnemann war ein politischer Kopf, der den liberal-demokratischen Idealen der 1848er Revolution nahestand und diese mit seiner Zeitung publizistisch vertreten wollte. Das führte schon 1867 zur Trennung von Rosenthal. Von da an war Sonnemann alleiniger Eigentümer und Herausgeber der Zeitung. 1868 war er an der Gründung der „Deutschen Volkspartei“ beteiligt, der politischen Organisation des liberalen süddeutschen Bürgertums, für die er bis 1884 im Reichstag saß.

Die Verbindung von Mandat und journalistischem Beruf war im Kaiserreich keine Seltenheit. Sonnemann und seine Zeitung standen zumeist in Opposition zur Politik Otto von Bismarcks. Innenpolitisch befürwortete die „F.Z.“ wirtschaftsliberale wie auch sozialreformerische Bestrebungen, ohne dem Lager der organisierten Arbeiterschaft beizutreten. Das Blatt bekämpfte die imperialistische Außenpolitik und lehnte die Heeres- und Flottenvorlagen ab. Im Kulturkampf und bei den Sozialistengesetzen stand man auf der Seite von deren Opfern. Das Reichspressegesetz garantierte zwar seit 1874 die Pressefreiheit. Doch Bismarck bekämpfte weiter die oppositionelle Presse. Auch die „Frankfurter Zeitung“ hatte darunter zu leiden. In den 1870er Jahren wurden Redakteure und Mitarbeiter der Zeitung zu insgesamt rund 40 Monaten Freiheitsentzug verurteilt. Beleidigungsklagen, Zeugniszwangsverfahren und Verkaufsverbote waren an der Tagesordnung.

Leopold Sonnemann setzte mit seiner Zeitung auf Expansion. Außer dem Handelsteil hatte sie einen politischen Teil und ein Feuilleton. Schon seit November 1867 bestand ein Berliner Büro für die Berichterstattung aus der preußischen und später deutschen Hauptstadt. Danach begann der Aufbau eines Korrespondentennetzes auch im Ausland, worauf die Zeitung ihr internationales Ansehen gründete. Neu war ferner, dass die Zeitung von 1873 an keinen Chefredakteur mehr hatte. Die Redaktion war kollegial organisiert, geleitet nur von einem Primus inter Pares. Darin sah man ein demokratisches Prinzip, das zu einer größtmöglichen Unabhängigkeit verhelfen sollte.

© Frankfurter Societäts-Druckerei/Horst Ziegenfusz Verlagsgebäude der „Frankfurter Zeitung“ an der Großen Eschenheimer Straße

Der Erfolg der Zeitung ist an der Auflage ablesbar, die von 8500 (1867) auf 34 000 Exemplare (Ende der 1880er Jahre) stieg. Das war für die damalige Zeit viel. Segensreich gewesen sein dürfte, dass die traditionsreiche „Frankfurter Postzeitung“ mit ihrem Verbot am 17. Juli 1866 ihr Erscheinen eingestellt hatte. Wie andere große Blätter erschien die F.Z. – schon der Börsenkurse wegen – dreimal am Tag, mit einer Morgen-, einer Mittags- und einer Abendausgabe. Der Inhalt wurde damit in einer Weise aktualisiert, wie es eigentlich erst den späteren Funk- und Online-Medien attestiert wird. Sonnemann wandelte 1891 den Alleinbesitz in eine „G.m.b.H. in Familienbesitz“ um und blieb noch ein Jahrzehnt deren Aufsichtsratsvorsitzender. Nach seinem Tod 1909 traten seine Enkel Heinrich und Kurt Simon seine Nachfolge an.

© Historisches Museum Frankfurt am Main Der Neubau der Societätsdruckerei (Frankfurter Zeitung) in der Großen Eschenheimer Straße 1888 abgebildet in der Zeitung „Kleine Presse“

Nach Bismarcks Abgang hatte sich das Verhältnis der F.Z. zur Reichsregierung entspannt. Unter Kanzler Caprivi war sie sogar wohlgelitten. Josef Stern, ihr Berliner Vertreter, gehörte zu den bevorzugten Gesprächspartnern Otto Hammanns, des Leiters der amtlichen Pressepolitik. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs konnte sich die Zeitung dem grassierenden Patriotismus nicht entziehen, verhielt sich aber in der Folgezeit immer wieder kritisch und mahnte zur Besonnenheit. Sie räumte auch Gastautoren Platz ein, so 1917 Max Weber für eine Artikelserie. Auch diese Praxis behielt die Redaktion bei.

Mit dem Ausbau der „Frankfurter Zeitung“ im Kaiserreich ging eine innere und äußere Differenzierung einher. Die zunehmende überregionale Nachfrage machte es notwendig, den lokalen Angelegenheiten weniger Raum zu geben. Für diese wurde zum 1. Oktober 1877 ein „Stadtanzeiger mit Fremdenblatt“ gegründet, der in Frankfurt und der näheren Umgebung zusätzlich gratis zugestellt wurde. Seit 1904 gab es ein „Literaturblatt“. Andere Beilagen kamen hinzu („Das technische Blatt“, „Hochschulblatt“, ab 1926 eine Frauenbeilage). Von 1885 an erschien in der Societäts-Druckerei die „Kleine Presse“ als „illustriertes Volksblatt“ mit lokalem Schwerpunkt. 1913 folgte „Das illustrierte Blatt“ (später „Frankfurter Illustrierte“). Als die „Kleine Presse“ 1922 eingestellt wurde, lebte sie in der F.Z. im Stadtblatt fort.

Die sprichwörtlich gewordenen „goldenen“ zwanziger Jahre bedeuteten für die „Frankfurter Zeitung“ eine Phase des journalistischen Glanzes. Zwar litt das Blatt (wie die übrige Presse) unter den schlechten ökonomischen Umständen. Das machte Sparmaßnahmen notwendig. Nach Verlusten musste die Familie Simon in der Weltwirtschaftskrise 1928/29 49 Prozent ihrer Anteile verkaufen. Carl Bosch erwarb sie aus Mitteln des I.G. Farben Kulturfonds. Doch konnte die Zeitung ihre Unabhängigkeit von offenen oder versteckten äußeren Einflüssen wahren.

Politisch stand die F.Z. der sozial-liberalen Deutschen Volkspartei (DVP) nahe und unterstützte die Verständigungspolitik von Außenminister Stresemann. Anders als die rechtsstehende Presse war man bereit, sich mit dem Versailler Vertrag abzufinden, und lehnte die „Dolchstoßlegende“ ab. Die Zeitung setzte sich für den Parlamentarismus und die Rechtsstaatlichkeit ein und wandte sich gegen den Antisemitismus und die Extremisten von rechts und links. Die kulturelle Blüte der zwanziger Jahre fand in einem exzellenten Feuilleton seinen Niederschlag. Hier publizierten viele bekannte Literaten wie Walter Benjamin, Alfred Döblin, Erich Kästner, Siegfried Kracauer, Heinich und Thomas Mann, Joseph Roth, Arnold und Stefan Zweig.

© DLA-Marbach Der vierte Presseausweis von Siegfried Kracauer als Redakteur der „Frankfurter Zeitung“

Für ein liberales Blatt wie die „Frankfurter Zeitung“ musste mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus und dessen „Machtergreifung“ 1933 eine schwere Zeit anbrechen. Adolf Hitler hasste die Zeitung (wie auch das „Berliner Tageblatt“). „Indem sie alle scheinbar äußerlichen rohen Formen auf das sorgfältigste vermeiden“, so schrieb er in „Mein Kampf“, „gießen sie das Gift aus anderen Gefäßen dennoch in die Herzen ihrer Leser.“ Trotzdem wurde die Zeitung 1933 nicht direkt verboten. Allerdings hatte auch sie sich den neuen rechtlichen Auflagen durch das Schriftleitergesetz zu unterwerfen. Wegen des „Arierparagraphen“ mussten die jüdische Verlegerfamilie Simon und mehrere jüdische Journalisten ausscheiden und gingen in die Emigration. Die Seite der Inhaber vertrat der schon zuvor für das Unternehmen tätige Carl Bosch, der in kritischen Situationen angeblich die Redaktion gedeckt hat.

Nicht mehr gestattet war das redaktionelle Kollegialprinzip. Nominell übernahm Rudolf Kircher, der frühere London- und Berlin-Korrespondent der F.Z., die Funktion des Hauptschriftleiters. Namhafte Redakteure waren Max von Brück, Wilhelm Hausenstein, Herbert Küsel, Benno Reifenberg, Friedrich Sieburg, Oskar Stark und Erich Welter. Frauen gab es in der Redaktion mit Margret Boveri und Elisabeth Noelle. Ingrid Seligo und Lily Abegg arbeiteten als Korrespondentinnen in Portugal und Japan. „Die Redaktionskonferenz“, so erinnerte sich Elisabeth Noelle später, „war wie eine Insel der Freiheit inmitten von Gewalt und geistiger Verödung.“

Dass die „Frankfurter Zeitung“ von den Nazis zunächst nicht verboten wurde, hat man auf außenpolitische Rücksichtnahme zurückgeführt. Hitler und Goebbels, sein Propagandaminister, hätten damit nach außen innere Liberalität in Deutschland dokumentieren und die Zeitung als Aushängeschild benutzen wollen. Gleichwohl kam es immer wieder zu Konflikten, die auf den Berliner Pressekonferenzen zutage traten. Dort wurden die amtlichen Presseanweisungen erteilt. Der anwesende F.Z.-Korrespondent Fritz Sänger hatte sie der Redaktion in Frankfurt zu übermitteln, darunter wiederholt auch Rügen. Ihm haben wir zu verdanken, dass die NS-Presseanweisungen nicht, wie eigentlich angeordnet, nach Gebrauch vernichtet wurden, sondern, vergraben im Teufelsmoor bei Bremen, den Zusammenbruch der Nazi-Herrschaft überstanden und als Quelle der Forschung zur Verfügung stehen.

Im Dritten Reich war die „Frankfurter Zeitung“ zu einer Gratwanderung gezwungen. Ambivalent sind die Urteile darüber. Auf der einen Seite hielt man ihr rückblickend vor, sie sei, um weiter erscheinen zu können, zu Zugeständnissen und Kompromissen bereit gewesen. Auf der anderen Seite lassen sich verschiedene journalistische Mittel der Distanzierung nachweisen. Man versuchte es mit der Methode „zwischen den Zeilen zu schreiben“, in der Überzeugung, die hellhörigen Leser würden das erkennen. Retrospektiv war dies später vielleicht nicht immer nachzuempfinden.

© Wolff & Tritschler, Institut für Stadtgeschichte In der Redaktion der „Frankfurter Zeitung“ um 1943

Verschlüsselte Kritik konnte in historische Berichte ausgelagert, mit Fabeln, Parabeln oder in der Lyrik ausgedrückt werden. Selbst in kurzen Meldungen ließ sich Widerstand verstecken. Angaben von NS-Quellen machten Meldungen unglaubwürdig, manchmal half sogar schon ein absichtlich eingestreuter Druckfehler. Als wohltuend dürften die Leser es empfunden haben, dass die „Frankfurter Zeitung“ nicht in den dröhnenden NS-Propagandaton einstimmte.

Selbst als der Zweite Weltkrieg begonnen hatte und die Lenkung der Presse sich noch verschärfte, konnte die „Frankfurter Zeitung“ weiter erscheinen, jetzt als Teil einer Holding der „Nicht-Parteipresse“. Im August 1943 brachte dann aber ein Artikel über den NS-Barden Dietrich Eckart das Fass zum Überlaufen. Auf persönliche Anordnung Adolf Hitlers musste die Zeitung zum 31. August 1943 eingestellt werden, aus „kriegswirtschaftlichen Gründen“, wie es hieß. Von Benno Reifenberg stammen die Worte, es sei gewesen, „als würde in einem dunklen Raum die letzte Kerze ausgeblasen“.

Obwohl die „Frankfurter Zeitung“ im Dritten Reich verboten worden war, konnte das Blatt nach dem Zusammenbruch des NS-Systems zunächst nicht wieder erscheinen. Das lag an der amerikanischen Besatzungsmacht. Diese handelte nach der Devise, Lizenzen für neu zu gründende Zeitungen nicht an Personen zu erteilen, die vor 1945 in der deutschen Presse tätig gewesen waren. Deshalb blieben davon auch die ehemaligen Redakteure der F.Z. ausgeschlossen. Gewissermaßen als Ersatz gründeten mehrere im Badischen ansässige ehemalige Kollegen um den einstigen Feuilleton- und Politikchef Benno Reifenberg 1945 die Halbmonatsschrift „Die Gegenwart“. Als Reifenberg nach deren Einstellung 1959 als Herausgeber in die F.A.Z. eintrat, lebte ihr Titel in einem Ressort dieser Zeitung fort – bis heute.

© F.A.Z. F.A.Z.-Redakteure und -Herausgeber im Restaurant. Links vorne Benno Reifenberg mit Erich Dombrowski, rechts gegenüber Hans Baumgarten.

In der französischen Besatzungszone gab es mehrere Versuche, eine Zeitung in der Tradition der „Frankfurter Zeitung“ wiederzubeleben. So in Mainz, wo neben dem „Mainzer Anzeiger“ seit dem 29. November 1946 eine Zonenzeitung herauskam („Allgemeine Zeitung und Wirtschaftsblatt“). Chefredakteur war Erich Dombrowski, der in der Weimarer Republik beim „Berliner Tageblatt“ und beim „Frankfurter General-Anzeiger“ gearbeitet hatte. Die „Allgemeine Zeitung“ wurde zum Sprungbrett der 1949 ausgegründeten „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Maßgeblich daran beteiligt war Erich Welter, seit 1948 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mainz. Er war in den 1930er Jahren der letzte Chefredakteur der „Vossischen Zeitung“ in Berlin gewesen und danach Leiter des Wirtschaftsteils der „Frankfurter Zeitung“. Der alte Titel F.Z. war aus rechtlichen Gründen gesperrt. Die Neugründung ließ sich erst verwirklichen, nachdem das im Mai 1949 erlassene Grundgesetz in Artikel 5 die Pressefreiheit garantierte und aufgrund einer alliierten Generallizenz Zeitungen wieder ungehindert herausgegeben werden konnten.

© Wolfgang Haut Redaktions-Konferenz F.A.Z. mit Karl Korn (rechts)

Am 1. November 1949 erschien die erste Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Der Untertitel lautete jetzt „Zeitung für Deutschland“ und drückte den Anspruch aus, ein Blatt mit überregionaler Verbreitung und nationalem Anspruch zu sein. Das war hierzulande ungewöhnlich, wo jahrhundertelang die Lokal- und Regionalpresse dominiert hatte, ganz anders als in Frankreich und England mit ihrer Dominanz der Metropolitanpresse. Die F.A.Z. konnte diesen Anspruch umso eher einlösen, als die alte Reichshauptstadt Berlin, bis 1933 auch Pressezentrum in Deutschland, aus politischen Gründen für diese Rolle ausfiel. Sie hat sie auch nach der Wiedervereinigung nicht wiedererlangt.

Nicht nur im Titel schloss die F.A.Z. an die F.Z. an. Die kollektive Redaktionsführung wurde im Interesse der inneren Pluralität und journalistischen Unabhängigkeit beibehalten. Auch auf das besondere Gewicht des Wirtschaftsteils wurde wieder Wert gelegt. Wie ein Jahrhundert zuvor ihre „Mutterzeitung“, entstand die F.A.Z. unter Beteiligung unternehmerischer Kräfte. Zunächst sammelten sich diese in der Wirtschaftspolitischen Gesellschaft von 1947 (WIPRO). Die ordnungspolitischen Vorstellungen fußten auf denen der Freiburger Schule des Ordoliberalismus um Walter Eucken, Franz Böhm und Alexander Rüstow. Jedenfalls wurde die F.A.Z. zu einem Blatt, das dazu beitrug, die soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik durchzusetzen. Die Gründungsherausgeber waren Hans Baumgarten, Erich Dombrowski, Karl Korn, Paul Sethe und Erich Welter. Wegen seiner maßgeblichen Rolle wird der Letztere heute noch als Gründungsherausgeber im Impressum der F.A.Z. aufgeführt.

© F.A.Z., Wolfgang Haut Die F.A.Z.-Herausgeber Hans Baumgarten, Erich Dombrowski, Karl Korn und Paul Sethe

Politisch unterstützte die F.A.Z. die Entstehung der Bonner Republik mit ihrer Westbindung. In wissenschaftlichen Untersuchungen ist die Zeitung immer wieder als „konservativ-liberal“ oder „Mitte-Rechts“ eingestuft worden. Was allerdings nicht ausschloss, dass die einzelnen Ressorts – Wirtschaft, Politik, Feuilleton, Sport – auch abweichenden Meinungen Platz einräumten. Konflikte wegen der Redaktionslinie blieben allerdings nicht aus. Aufsehen erregte es 1955, als Paul Sethe in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ scharfe Kritik an Bundeskanzler Adenauer äußerte und deshalb seinen Platz räumen musste. Im Jahr 1970 kam es zum Streit mit Jürgen Tern wegen der Brandt-/Scheelschen Ostpolitik. Solche Konflikte hatte es allerdings auch schon bei der alten „Frankfurter Zeitung“ gegeben. Die F.A.Z. wird, um ihre Unabhängigkeit zu sichern, seit 1959 von der FAZIT-Stiftung Gemeinnützige Verlagsgesellschaft getragen, befindet sich also nicht in Privatbesitz. Die Stiftung ist nicht auf Gewinnerzielung angelegt, sondern investiert Überschüsse in ein wissenschaftliches Förderungsprogramm. Auch die jeweiligen Herausgeber halten Anteile an der Gesellschaft.

© Wolfgang Haut Erich Welter, F.A.Z.-Herausgeber

Ein starker Druck zum Wandel geht seit den 1990er Jahren vom Internet aus. Zudem wanderten die Rubrikenanzeigen, die mehr als ein Jahrhundert die Zeitung mit finanziert hatten, ins Internet ab. Die historisch erwiesene, so nachhaltige Anpassungsfähigkeit wird auch in Zukunft vonnöten sein, will sie 2066 200 Jahre alt werden. Ein illusorisches Alter wäre das für eine Zeitung nicht.

© Patricia Kühfuss Redaktionsgebäude der F.A.Z. 2015 in der Hellerhofstraße in Frankfurt am Main

Der Verfasser lehrte von 1988 bis zu seiner Emeritierung Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.

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Quelle: F.A.Z.

Veröffentlicht: 16.11.2016 14:23 Uhr